Eine Sekte tanzt und mordet zu Haydns Musik

Susanne Kübler , Tages-Anzeiger (03.03.2009)

La fedeltà premiata, 01.03.2009, Zürich

Das Zürcher Opernhaus zeigt Haydns «La fedeltà premiata»: Ein höchst amüsanter Beitrag zum Haydn-Jahr 2009.
Es gibt unmögliche Opernstoffe, und jener, den Haydn 1781 zur Wiedereröffnung des abgebrannten Opernhauses von Esterháza vertont hat, gehört zweifellos dazu. Es geht in «La fedeltà premiata» in schönster nachbarocker Manier um allerlei undurchschaubare Liebeswirren und Missverständnisse, und vor allem um ein seltsames Gesetz, das im imaginären Reich Cuma herrschen soll: Wer treu liebt, muss sterben.

Es gibt aber auch immer wieder sehr erfreuliche Inszenierungen von unmöglichen Opernstoffen - und da reiht sich die Zürcher Aufführung mit Bravour ein. Ein solches Gesetz, so sagte sich Regisseur Jens-Daniel Herzog, kann eigentlich nur in einer Sekte gelten. So hat er zusammen mit seinem Ausstatter Mathis Neidhardt eine Sektenwelt entworfen, in der das Dauergebet des rauschebärtigen Gurus ab Video ebenso wenig fehlt wie die orangen Fähnchen an den weissen Wänden. Orange (und rot und lila in den unmöglichsten Kombinationen) sind auch die Rüschenhemden und Schlaghosen der Hippie-Jüngerinnen und -Jünger. Nur die zum Tod Verurteilten werden wie zum Hohn in Hochzeitskleider gesteckt.

Gleich zu Beginn der Oper wird ein solches Urteil vollstreckt; und wie die Gemeinschaft dabei in Ekstase gerät, wie sie vom verzückten Wippen zu Haydns Musik allmählich zu ziemlich spastischen Tänzen übergeht, das sorgt für einen ersten Höhepunkt an einem Abend, an dem noch viele weitere folgen.

Ziemlich diskreter Charme

So ungewöhnlich das Ambiente für eine ursprünglich in einer Schäfer-Nymphen-Welt angesiedelte Oper sein mag, es widerspricht weder der Geschichte noch der Musik. Adam Fischer sorgt im hochgefahrenen Orchestergraben mit Verve dafür, dass es einem tatsächlich ums Wippen ist. Er hat vor Jahren schon die Zürcher Produktion von Haydns «Il mondo della luna» dirigiert, seine Gesamtaufnahme der Haydn-Sinfonien war eine interpretatorische Grosstat, und es ist gewiss nicht übertrieben, wenn er Haydns Musik einst als seine Muttersprache bezeichnet hat.

Zusammen mit dem Orchester der Oper spricht er diese Sprache ausgesprochen flüssig. Rasche Tempi, durchsichtiger Klang, freie Liebe zwischen allen möglichen Instrumenten - das kommt der spielerischen Seite dieses «Dramma pastorale giocoso» entgegen. Die dramatische wird knapper gehalten: Es gibt sie zwar, und bevor das Happy End herbeigezwungen wird, donnert es so sehr, dass sogar das Video verwackelt; aber der Grundton des Abends bleibt leicht.

Das ist die Stärke, aber auch das Problem dieser Aufführung - oder mehr noch: dieses Werks. In Zürich wurde «La fedeltà premiata» zwar in den 70er-Jahren schon einmal gezeigt, aber wie alle Haydn-Opern ist sie eine Rarität geblieben. Nach dieser Aufführung ahnt man, warum: Es ist ein gewinnender, aber ziemlich diskreter Charme, den diese Musik ausstrahlt. Knalleffekte, Pathos, Ohrwürmer gibt es nicht, auch keine zirkusreife Bravourarie. Händel hat die elegischeren Melodien geschrieben, Vivaldi die spektakuläreren Sturmszenen - um nur zwei Namen zu nennen, die in den letzten Jahren für die Opernbühne neu entdeckt worden sind.

Natürlich gibt es in dieser Partitur zahlreiche raffinierte Klangmischungen; neben den leichten Tönen finden sich solche, in denen eine existenzielle Verzweiflung anklingt. Auch der haydnsche Sinn für Witz und brüske Kehrtwendungen ist da (wobei er weniger stark wirkt als in den Instrumentalwerken, weil er hier immer mit der Handlung verknüpft wird, bei der Überraschungen zum Courant normal gehören). Und mit etwas variableren Tempi, mit einer kühneren Gestaltung der Wiederholungen in den Da-capo-Arien liessen sich durchaus noch ein paar Funken mehr zünden. Doch selbst dann dürfte es diese Oper kaum je unter die Top 100 schaffen.

Melancholie in Dur

Aber auch eine gelungene Ausgrabung ist schon viel wert, und die Sängerinnen und Sänger aus dem Zürcher Ensemble gehen aufs Ganze dafür. Allen voran Martina Janková, die als Celia den Fileno liebt, es aber nicht zugeben darf, weil sonst ja eben der Tod droht. Celias Arien strahlen eine typisch haydnsche Melancholie in Dur aus, und Janková singt sie im sehr vorteilhaften Hippie-Look so innig wie virtuos - selbst als sie nach einem turbulenten Finale des ersten Akts wegen eines Muskelfaserrisses lädiert auf die Bühne zurückkommt.

Lady Di bringt die Rettung

Der Rest des Ensembles bewältigt die beträchtlichen schauspielerischen Anforderungen ohne Sportverletzungen. Da ist Christoph Strehl mit dicker Brille, gestreiftem Pullunder und betont hölzernem Tenor, der Celia nach dem Willen des Gurus heiraten soll und keine Hemmungen hat, die fortgeschrittene Verblödung dieser Sektengemeinschaft physisch darzustellen. Da ist Gabriel Bermudez als libidinös übersteuerter Graf, der alles liebt, was zwei Beine hat. Da sind Eva Mei und Sandra Trattnigg als Geliebte respektive Sekretärin des Gurus, die gern in die Geschichte eingreifen, was aber immer falsch herauskommt (nur vokal liegen sie beide immer richtiger, je länger die Aufführung dauert). Und schliesslich ist da noch die Entdeckung des Abends, der Mexikaner Javier Camarena, der den Fileno mit sehr sanftem, warmem Tenor gibt, aber auch kräftig aufdrehen kann, wenn die Geliebte (scheinbar) abtrünnig wird.

Sie alle lieben und leiden kreuz und quer, unter dem strengen Blick des Gurus Carlos Chausson, der sich genau ausrechnet, welche Verbindungen und welche Morde seinen Zwecken am besten dienen. Er verrechnet sich. Der Tote ist schliesslich er selbst, durchbohrt von einem Pfeil der Diana, die als Dea ex machina auftaucht. Treue sei nun wieder erlaubt, singt die junge Anja Schlosser mit perlendem Sopran, und das wäre wahrlich ein Grund zum Jubeln - wenn das penetrante Lächeln und die Frisur dieser Diana, die sehr an ihre Namensvetterin Lady Di erinnert, nicht ebenso suspekt wären wie zuvor der Bart des Gurus. So ist der Schlussjubel so verhalten, wie es sich bei Aufführungen von Stücken mit unglaubwürdigem Happy End eingebürgert hat. Dafür war jener des Premierenpublikums überaus herzlich.