Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (03.03.2009)
«La fedeltà premiata» von Joseph Haydn im Opernhaus Zürich
Wenn das Haydn-Jahr, das die ganze Welt feiert, mehr bieten soll als einfach die Wiederholung des schon längst bekannten Repertoires, liegt das Opernhaus Zürich auf dem rechten Weg. Zum 200. Todestag des Komponisten am 31. Mai 2009 wagte es sich an dessen Oper «La fedeltà premiata» heran. Das 1781 in Eszterháza uraufgeführte Dramma pastorale giocoso war zu Haydns Lebzeiten nach «Armida» seine zweiterfolgreichste Oper. Bald nach seinem Tod ging jedoch das Aufführungsmaterial verloren, und die Oper fiel der Vergessenheit anheim. Erst 1958 entdeckte der Haydn-Forscher Howard C. Robbins Landon in Budapest die Partitur, worauf das Werk in der Haydn-Gesamtausgabe publiziert wurde. Nach der neuzeitlichen Erstaufführung am Holland-Festival von 1970 folgten verschiedene Opernhäuser mit Neuinszenierungen, darunter Zürich in der Spielzeit 1974/75.
Sektenleben statt Schäferspiel
Eine Aufführung von «La fedeltà premiata» sieht sich auch heute mit etlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Da ist zum einen das verworrene, auf sieben grosse Rollen verteilte Libretto von Giovanni Battista Lorenzi. Die Handlung spielt im antiken Cumae bei Neapel in einem Milieu von Nymphen, Schäfern und Tempelpersonal. Dazu gehört ein für damalige Verhältnisse durchaus üblicher Schluss mit einer «Dea ex Machina», was auf heutige Zuschauer aber befremdend wirkt. In der ungekürzten Version dauert die Aufführung über drei Stunden und ist mit Secco-Rezitativen überfüllt, was nicht nur der italienischen Sprache wegen anstrengend ist.
Das Produktionsteam der Zürcher Produktion begegnet diesen Schwierigkeiten mit radikalen Kürzungen und einer gelungenen Aktualisierung des Stoffs. Der Regisseur Jens-Daniel Herzog siedelt das Schäferspiel nämlich nicht am Originalschauplatz an, sondern im Beziehungsgefüge einer neuzeitlichen Sekte. Über der Gemeinschaft lastet ein Fluch: Jedes Jahr müssen dem Ungeheuer, das im nahen See lebt, zwei treue Liebende geopfert werden, und zwar so lange, bis sich ein Held aus der Gruppe freiwillig vor das Monster wirft. So befiehlt es die Göttin Diana, und so verkündet es ihr Hohepriester Melibeo. In der Lesart von Jens-Daniel Herzog ist Melibeo der Guru Bhagwan. Und so wie «der Erleuchtete» in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts im indischen Poona Zehntausende von westlichen Aussteigern um sich scharte, so lockt der Opern-Bhagwan seine Jünger in den Tempel, wo sie sich ihm bedingungslos unterordnen müssen.
Der Ausstatter Mathis Neidhardt lässt die Handlung in einem nüchternen Innenraum spielen, der auch ein Gefängnis sein könnte. Im Hintergrund befindet sich, durch einen Vorhang abgetrennt, das Heiligtum, dessen Gott aber niemand anderer als Bhagwan selber ist. Während der Guru, mit langem Bart und wallendem blauem Gewand ausgestattet, auf seinem Thron sitzt, jubeln ihm seine Anhänger, die in orangen Kleidern stecken und sich eine Holzkette mit dem Bild des Meisters umgehängt haben, in verzückten Bewegungen zu. Das Gebot des Meisters lautet «freie Liebe», und wer sich dem widersetzt, wird bestraft. Der Regisseur zeigt das Funktionieren dieser Sekte als ein Terrorsystem, aus dem niemand ausbrechen kann. Das mordende Ungeheuer, das in Haydns Libretto eine äussere Gefahr darstellt, ist bei Herzog das Kollektiv der Jünger, die durch Gehirnwäsche ihre Identität verloren haben.
Mit seinem eindringlichen Bass zeigt Carlos Chausson die Figur des Melibeo beziehungsweise des Bhagwan treffend als Paarung von Zynismus mit der Verfolgung eigener Interessen. Die Einzige, die sich widersetzt, ist Fillide, die unbeirrbar an ihrem Geliebten Fileno festhält, die sich aber verstellen muss, um nicht das nächste Opfer des Gurus zu werden. Martina Janková füllt diese Rolle mit einem einzigartigen Reichtum an stimmlichen Möglichkeiten und mit einer Spielweise aus, die ihre Zerrissenheit ergreifend vor Augen führt. Obwohl die Sängerin bei der Premiere im ersten Akt eine Muskelzerrung erlitt, hielt sie bis zum Ende tapfer durch. Mit Javier Camarena als Fileno steht ihr ein gleichwertiger Partner zur Seite, der nicht nur über einen betörend geschmeidigen Tenor verfügt, sondern auch seinen Wandel vom getäuschten und enttäuschten Liebhaber zum Retter in der Not überzeugend vorführt.
Neben diesem Seria-Paar finden am Schluss, wenn die Macht Melibeos gebrochen ist, nach etlichen Umwegen auch zwei Buffo-Paare zueinander. Die eitle Amaranta in der Person von Eva Mei hat dort ihre wirkungsvollsten Auftritte, wo sie dick auftragen kann. Gabriel Bermúdez spielt seine Rolle als gitarrespielender Schönling und Narziss Perrucchetto mit Hingabe. Den kurzsichtigen Tölpel Lindoro, der erfolglos jeder Frau nachstellt, mimt Christoph Strehl mit etwas schmalbrüstiger Stimme, aber schauspielerisch trefflich. Nerina alias Sandra Trattnigg wandelt sich eindrücklich von der ahnungslosen Sekretärin des Gurus zur schuldbewussten Komplizin des geplanten Ritualmordes. Dass es nicht dazu kommt, dafür sorgt am Schluss die Diana von Anja Schlosser, deren Ähnlichkeit mit Lady Di die Schlusspointe der Regie darstellt.
Profil im Kräftigen
Mit Adam Fischer steht bei «La fedeltà premiata» ein ausgewiesener Haydn-Dirigent zur Verfügung, der unter anderem Mitbegründer der Haydn-Festspiele in Eisenstadt war. Die Interpretation, die er mit dem Orchester der Oper Zürich erarbeitet hat, weist Stärken wie Schwächen auf. Was ihr Profil verleiht, sind die dramatischen Züge, die überraschenden Attacken, das Forcieren der Hörner und der Pauken, die starke Zeichnung der Holzbläser und der aufgeraute Tonfall. Zu kurz kommen dagegen die kantablen Elemente, der Schmelz in den Streichern (die nicht immer ganz lupenrein intonieren), die orchestrale Unterstützung bei den kontemplativen Arien, das Organische der musikalischen Abläufe.
Fischer ist ein Dirigent, der die Körpersprache nur spärlich einsetzt, das Orchester über weite Strecken selbständig gewähren lässt, aber an den dramatisch entscheidenden Stellen fordernd eingreift. In jedem Fall jedoch vermag die Produktion den Appetit auf diese zu Unrecht vernachlässigte Oper Haydns zu wecken. Die Aufführung zeigt, dass «La fedeltà premiata» durchaus eine Wiederbelebungschance hat, wenn das Werk auf eine ertragbare Länge zurückgestutzt wird und wenn sich eine profilierte musikalische Interpretation mit einer schlüssigen Inszenierung paart.