Hinter den Masken des Scheins

Maria Künzli, Berner Zeitung (03.03.2009)

Un Ballo in Maschera, 01.03.2009, Bern

Verdis Oper «Un ballo in maschera» seziert den menschlichen Charakter und blickt hinter die Maske seiner Figuren. Bei der Premiere am Sonntag wurde die Inszenierung von Wolf Widder frenetisch gefeiert. Zu Recht.

Ursprünglich hätte Verdis 1857 entstandene Oper «Una vendetta in Domino» (Eine Rache im schwarzen Mantel) heissen sollen. Denn sie lehnt sich an eine wahre Begebenheit an: 1792 wurde der schwedische König Gustav III. während eines Maskenballs von politischen Gegnern ermordet. Doch die strengen Zensurbehörden erlaubten keinen Königsmord auf der Bühne und verlangten von Verdi eine geografische und inhaltliche Distanzierung von der Realität. So versetzte der Komponist die Handlung kurzerhand ins weit entfernte Boston, und aus dem König wurde ein Graf. Man einigte sich schliesslich, das Werk unverfänglich «Un ballo in maschera» (Maskenball) zu nennen.

Stilsicher

Doch unverfänglich ist nur der Titel: Verdi seziert in «Un ballo in maschera» den menschlichen Charakter, reisst ihm kaltschnäuzig die Maske des schönen Scheins vom Gesicht. Wo und wann sich die Geschichte genau abspielt, wird nebensächlich. Sie könnte sich überall dort ereignen, wo es Menschen gibt. Auch in der stilsicheren Inszenierung von Wolf Widder, die am Sonntag in Bern Premiere feierte, lenkt nichts vom menschlichen Treiben ab.

Spartanisch mutet die Bühne an: ein schwarzer Spiegelboden, schwarze Säulen, dezente Kostüme. Die dunkle Leere wirkt schwer und bedrückend, der Raum trotz seiner Grösse einengend. Immer wieder durchbrechen Farben die Dunkelheit: Die Hintergrundbeleuchtung ändert sich je nach Szene. Doch auch die Farben betonen schliesslich das, was unvermeidbar zwischen den Mauern lauert: Rache, Eifersucht und Tod. Denn Riccardo (Felipe Rojas) ist in Amelia (Gabriela Georgieva), die Frau seines besten Freundes Renato (Davide Damiani), verliebt. Renato kommt hinter das Geheimnis und schliesst sich aus Rache einer Gruppe von politischen Gegnern Riccardos an. Am Maskenball schliesslich wird Riccardo von seinem besten Freund erstochen.

Klare Linie und viel Raum

Regisseur Wolf Widder und Christoph Wagenknecht (Bühne, Kostüme) halten ihre klare Linie bis zum Ende konsequent durch. Sie bleiben nahe an Text und Musik, verzichten auf effekthascherische Mätzchen und blutleere Showeffekte. So bringen sie zwar keine eigene Deutung, keinen neuen Aspekt der Oper auf die Bühne. Und sie riskieren, dass die Akteure auf der Bühne verloren wirken. Dafür bleiben dem Berner Symphonieorchester und dem Ensemble, das ausschliesslich aus Gastsängern besteht, genügend Raum für die musikalische Interpretation.

Und diese lässt aufhorchen: Dem chilenischen Tenor Felipe Rojas, der zwei Tage vor der Premiere für den verunfallten Hoyoon Chung eingesprungen ist, merkt man die Notlösung kaum an. Selbstsicher bewegt er sich in der eilig einstudierten Inszenierung, gekonnt füllt er die Regielücken mit Präsenz. Mit seinem klaren, kraftvollen und äusserst wendigen Tenor verkörpert Rojas einen sensiblen und emotionalen Riccardo. Gabriela Georgieva ist eine beeindruckende Amelia, auch ihr steht die Inszenierung gut: Ihr strahlender, wandelbarer Sopran füllt den kahlen Bühnenraum im Nu, man kauft ihr die hoffnungslos Verliebte ebenso ab wie die von Gewissensbissen gepeinigte Ehefrau.

Schwerer hat es Davide Damiani als eifersüchtiger Ehemann Renato: Sein sonorer und kraftvoller Bass verschafft ihm zwar Präsenz, darstellerisch vermag er diese aber nicht aufrechtzuerhalten. Auf der leeren Bühne wirkt Damiani zeitweise spröde und verloren.
Getragen wird das insgesamt überzeugende Ensemble von einem hervorragenden Chor und einem sensibel agierenden Berner Symphonieorchester. Unter der Leitung von Srboljub Dinic überzeugen die Musiker durch Leidenschaft und Präzision. Mühelos meistern sie die anspruchsvollen Stimmungs- und Tempiwechsel in Verdis Musik.