Verpackungskünstler

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (03.07.2006)

Tiefland, 01.07.2006, Zürich

Eugen d'Alberts «Tiefland» im Opernhaus

Die Geschichte ist einfach und nach dem Gut- Böse-Schema gebaut: Der fromme Hirte Pedro bekommt vom mächtigen Grundbesitzer Sebastiano eine Frau und als Zugabe eine Mühle im Tal. Einsam auf der Alp lebend, ahnt er nicht, dass diese Frau die Geliebte Sebastianos ist und mit ihm verkuppelt werden soll, da Sebastiano zur Sanierung seiner Finanzen eine reiche Heirat plant. Es kommt, wie es kommen muss. Marta - so heisst die bedauernswerte Waise, die in die Fänge Sebastianos geraten ist - verliebt sich in den arglosen Pedro, im Zweikampf tötet Pedro Sebastiano wie einst den Wolf, der in seine Herde eingefallen war, und zieht mit Marta aus dem sündigen Tiefland zurück in die reine Bergwelt der Pyrenäen.

Szenischer Überbau

Wenn das Zürcher Opernhaus sich nach mehr als fünfzig Jahren wieder auf das einstige Erfolgsstück des kosmopolitischen Klaviervirtuosen Eugen d'Albert besinnt, ist natürlich mehr zu erwarten als eine simple Nacherzählung dieser deftigen Story. Schauspielhaus-Intendant Matthias Hartmann hat schon bei Smetanas «Verkaufter Braut», seiner ersten Operninszenierung, bewiesen, dass er einen volkstümlichen Stoff mehrschichtig aufzubereiten versteht. Bei d'Alberts Musikdrama, einem deutschsprachigen Ableger des Verismo, verfährt er nicht anders. Das Vorspiel, in dem der perfide Pakt der Scheinehe geschlossen wird, verlegt er in ein Laboratorium. Hier züchten Tommaso und Nando, von Hirten zu Wissenschaftern avanciert, manipulierbare menschliche Subjekte. Videobildschirme über den Vitrinen, in welchen die Versuchspersonen stehen, und eine Grossleinwand für die Heimatfilmszenen von der Alp mit den Protagonisten der Oper stellen den medialen Gegenwartsbezug her (Bühne: Volker Hintermeier, Videodesign: Sven Ortel) - die Stichworte heissen virtuelle Welt und Gentechnologie.

In der Haupthandlung - gespielt wird die gekürzte zweiaktige Fassung von 1905 - zitiert Hartmann dann auch die Rezeptionsgeschichte. Das pompöse Interieur von Sebastianos Firmensitz und Su Bühlers Kostüme berufen sich auf die dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts, jenes Jahrzehnt, in welchem «Tiefland» (eine von Hitlers Lieblingsopern) im deutschsprachigen Raum zu den etablierten Repertoirestücken zählte. Immerhin erinnern das Halbrund des Raumes, Lamellen im Obergeschoss sowie drehende Räder und Ventilatoren daran, dass das Drama in einer Mühle spielt. Sinnfällig wird dieser ganze Überbau nicht, und dass der redliche Tommaso, der die verwerflichen Pläne Sebastianos erst nach und nach durchschaut, Chef des Genlabors ist, leuchtet so wenig ein wie die Verknüpfung des Schlusses mit dem Vorspiel.

Doch eine Personenregie gibt es hier ohnehin kaum, agiert wird konventionell realistisch, mit den üblichen Sängerposen und pauschal gruppiertem Chor. So steht denn der szenische Verpackungsaufwand in eklatantem Missverhältnis zum künstlerischen Inhalt. Denn auch die musikalische Substanz von «Tiefland» ist eher dürftig: eingängige, doch konturlose Melodien, die sich schablonenhaft aneinander reihen, ein schwer definierbares Gemisch stilistischer Anleihen, das Orchester mehr untermalend denn tonangebend.

Prominente Besetzung

Verständlich, dass Franz Welser-Möst im Opernhaus-Magazin deutliche Vorbehalte gegenüber dem Werk signalisiert. In der Aufführung lässt er sich nichts davon anmerken, das Orchester bringt die Vorzüge der Komposition, klangliche Farbigkeit und effektvolle Stimmungsmalerei, zu voller Wirkung, passt sich den Sängerstimmen geschmeidig an und findet nach dramatischen Exzessen rasch zurück zu leiseren Tönen. Doch weder Hartmanns Inszenierung noch Welser-Mösts Dirigat kann die Wiederbelebung von «Tiefland», noch dazu im Rahmen der Festspiele, rechtfertigen.

Dies vermag einzig das Sängerpaar Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer, das sich vorbehaltlos mit seinen Partien identifiziert und tatsächlich als Idealbesetzung für Pedro und Marta gelten kann: Peter Seiffert mit seinem unverkrampften Naturburschentum, seinem enormen vokalen Potenzial und seiner mühelosen Höhe, die darstellerisch differenziertere Petra Maria Schnitzer mit ihrem klar geführten Sopran, der zwar nicht sehr reich an Farben ist, aber für die dramatischen Kulminationspunkte erstaunliche Kraftreserven ausschöpfen kann.

Der Marta verfallene Machtmensch Sebastiano ist mit Matthias Goerne ebenfalls prominent, doch nicht ganz rollenkonform besetzt. Seit seinem Zürcher Wozzeck weiss man, dass Goerne ein Flair für komplexe Charaktere hat - was Sebastiano nicht ist - und dass die Qualitäten seines warm timbrierten Baritons nicht in schierer Kraftentfaltung liegen. László Polgár als edler Tommaso, Christiane Kohl, Liuba Chuchrova und Kismara Pessatti als Spötterinnen-Trio, Eva Liebau als Magd Nuri und Rudolf Schasching als Nando komplettieren das Ensemble. - Ein Sängerfest, aber kein Festspielereignis.