Die Liebe im verlogenen Paradies

Herbert Büttiker, Der Landbote (03.03.2009)

La fedeltà premiata, 01.03.2009, Zürich

Joseph Haydn ist als Opernkomponist ein fast Vergessener. Im Jahr seines 200. Todestages öffnet das Opernhaus Zürich mit «La fedeltà premiata» wieder einmal seine musikalische Schatztruhe und macht daraus tolles Theater.

Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung im Opernhaus liegt 34 Jahre zurück, die Erinnerung ist verblasst und die Inhaltsangabe im damaligen Programmheft zur üppigen dreiaktigen Oper, die Joseph Haydn 1781 zur Neueröffnung des abgebrannten Opernhauses von Eszterhazá zur Aufführung brachte, gehört zum Vertracktesten, was dem Opernfreund librettomässig je untergekommen ist. Wie konnte das geschehen? Wann? Wie? Wo? Was? – Die Fragen stellt im Finale des ersten Aktes nicht das Publikum, sondern das Personal auf der Bühne.

Die Musik quittiert das durchaus mit Schalk. Unbedarft waren der Librettist Giovanni Battista Lorenzi und der Komponist ja nicht: Zum einen mischt «La fedeltà premiata» als «Dramma pastorale giocoso» die Tonlagen von Opera seria und buffa, zum anderen ist die Verworrenheit unter diesen teils komischen, teils tragischen Figuren ja auch das Thema. Da gibt es zwar die beständige Liebe zweier unschuldiger Hirtenkinder, aber als diese sich im Tempelbezirk Cumas wieder finden, verleugnet Fillide ihren Fileno – mit gutem Grund. Sie weiss vom Gesetz der erzürnten Göttin Diana. Es verlangt, dass jedes Jahr ein treues Liebespaar einem Ungeheuer zum Frass vorgeworfen wird, und so wie die Dinge in Cuma stehen, kommen dafür nur sie beide in Frage. Denn hier dreht sich das Liebes- und Intrigenkarussell was das Zeug hält, aber natürlich werden nun auch die scheinbaren Singles vom Land vom Wirbel mitgerissen. Am Ende hat Diana ein Einsehen. Ihr Pfeil trifft Melibeo, ihren Tempelpriester und Oberintriganten, drei Paare danken der gütigen Göttin.

Mythologie und Lebensnähe

Diana, die so auf kuriose Weise für geordnete Liebesverhältnisse sorgt, lächelt uns im Opernhaus unverkennbar als Lady Di entgegen: eine neckische Pointe der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, der die mythologisch verbrämte Geschichte in einer schäbig-schönen Ausstattung voller leiser und schriller Ironie (Mathias Neidhardt) in Gegenwartsnähe ansiedelt. Das Gesetz, das Treue als lebensgefährlich erscheinen lässt, findet seine überraschende Plausibilität in einer orange- blumigen Sektengemeinschaft, in der die besitzergreifende Liebe verpönt ist – ganz nach der Devise: Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment. Aber die freie Liebe ist Theorie. In der Praxis rennen alle, angefangen vom Guru Melibeo bis zu seiner Sekretärin Nerina, ihrem auserwählten Liebesobjekt nach, und das ist nicht nur als Persiflage witzig, es zeigt auch die schmerzhafte Wunde im Körper eines wonnigen Lebens- ideals, das als Erbe der Blumenkinder ja irgendwie bis heute weiterlebt.

Und siehe da: So aus der Welt der Nymphen und Satyrn, der arkadischen Hirten, weihevollen Tempelpriester und Eberjagden im heiligen Hain geholt, erweist sich Haydns einmal berückend innige, dann wieder polternd komische Musik als ungemein lebensnah, und in einer Geschichte, die einem ziemlich undarstellbar vorkommt, agieren auf einmal glaubhafte Figuren – allen voran in wunderbarer Übereinstimmung zum Herzton ihres anmutigen Soprans Martina Janková als Fillide. Was ihr Haydn, begleitet von Flöte und sordinierten Streichern, an arioser Ausdruckstiefe mitgibt, gehört zweifellos mit zum besten, was die Oper des 18. Jahrhunderts zu bieten hat. Das gilt ebenso für Fileno, der mit Tramperrucksack unterwegs ist und für den Javier Camarena einen geschmeidig warmen und auch gesteigerter Expressivität fähiger Tenor berührend ins Spiel zu bringen hat. Die beiden singen das einzige Duett in diesem Werk, es ist ein Liebesgesang unter den negativen Vorzeichen des Verlusts – und ein Höhepunkt von Haydns introvertierter, in die Tiefe gehender Seelensprache.

Die Oase der Neurosen

Wohl ein wenig konventioneller ist die Sprache, die Haydn der eifersüchtigen und schnell entflammten Amarantha in den Mund legt. Sie hat mit jedem Auftritt Grund, jemandem eine Szene zu machen, und tut dies auch – fulminant dank Eva Meis griffiger Virtuosität. Weniger spektakulär bekunden Lindoro und Nerina ihre Liebesstrapazen, aber Christoph Strehl wie Sandra Trattnigg zeigen mit musikalischer Beweglichkeit und darstellerischem Witz als Stadtneurotiker und zickige Sekretärin deftige Comedy-Figuren. Aufplusternde Unterstützung vom originellen Instrumentator Haydn erhält Gabriel Bermúdez als prahlerischer Frauenheld Perrucchino, und Carlos Chausson, dem die Figur des ätzend verlogenen Sektengurus auf den Leib geschrieben scheint, bekommt als Melibeo den salbungsvollen Ton zur lächerlichen Würde.

Überhaupt profitiert das tadellose Ensemble, dessen Treiben Anja Schlosser als stentorische Dea ex machina ein Ende setzt, vom nicht minder lebhaft und abwechslungsvoll präsenten Klangkörper im hochgehobenen Orchestergraben – und, was die Jagdhörner betrifft, die im Wald auch manchmal stolpern, verteilt im Haus. Haydn-Kenner Adam Fischer am Pult lässt das Orchester mit starken dynamischen Kontrasten und präzisen Akzenten so draufgängerisch wie empfindsam agieren. In den vielen, meist kurzen Arien, in dramatisch intensiven Accompagnato-Szenen und in den ausgedehnten Kettenfinali ist seine ausgefeilte Arbeit zu geniessen.

Exquisites wie die Soloflöte oder das Solofagott gehörte zum Glück dieser Premiere. Mit Lady Di und mit dem optisch abgetakelten und musikalisch verhuschten Schluss setzt die Inszenierung gegen das allzu grosse Glück ganz in Weiss, in Frack und Zylinder eine gehörige Prise Skepsis, aber sonst war das Premierenglück vollständig – auch für Martina Janková, die sich während der Aufführung zwar einen Muskelriss zuzog, aber tapfer weitermachte und dafür den ohnehin reichlich verdienten Applaus samt Bonus geniessen konnte.