Der Bhagwan erobert die Opernbühne

Alexander Dick, Badische Zeitung (03.03.2009)

La fedeltà premiata, 01.03.2009, Zürich

Schon nach ganz wenigen Takten haben wir unseren alten Musikwissenschaftsprofessor wieder im Ohr. "Unterschätzen Sie mir den Haydn nicht", pflegte der seinen Studenten, die es natürlich glaubten besser zu wissen, in seinen Vorlesungen einzubläuen. Denn: Haydn, das sei der witzige, geistvolle Wiener Klassiker, der in allen Musikgattungen für eine Überraschung gut sei. Für diese ist konkret die Zürcher Oper verantwortlich, noch konkreter ist’s Adam Fischer am Pult des zeitweise geradezu überirdisch inspiriert und klangvoll aufspielenden Opernorchesters, das bereits in der ungemein elektrisierenden Ouvertüre signalisiert, mit welchem Kaliber von Musik man es hier zu tun hat. Apropos Kaliber: Haydn wusste sehr wohl um die Wirksamkeit dieser Jagdmusik mit auftrumpfenden Hörnern (in Zürich aus diversen Logen, allerdings auch mit diversen Kieksern), integrierte er sie doch kurzerhand wenig später in den Schlusssatz seiner Sinfonie Nr. 73 "La Chasse – Die Jagd".

Die Oper heißt "La fedeltà premiata – Die belohnte Treue" (1781) und wurde erst 1965 wieder komplett ausgegraben; in Zürich gab es sie immerhin schon einmal 1975, damals in Szene gesetzt vom großen Jean-Pierre Ponnelle als Schäferspiel im Ambiente des 18. Jahrhunderts. Das ist es auch, was einen den erneuten Griff auf das Stück erst einmal suspekt macht, nach dem Motto: Im Haydn-Gedenkjahr 2009 muss eben auch mal wieder was von diesem Großmeister auf die Bühne – obwohl doch noch immer so viele behaupten, dass die Oper trotz mindestens 19 Beiträgen für das Musiktheater nun eben nicht sein Ding war...

Ein Blick auf die Handlung bekräftigt diese Vorbehalte. Das "heitere Schäferdrama" lässt sich im Grunde gar nicht richtig erzählen. Ein Priester der Göttin Diana, um ihn herum viele amouröse Verwicklungen und ein merkwürdiges Verdikt: Einander treu Liebende müssen einem Ungeheuer geopfert werden, bis, ja bis ein Wunder dem Ganzen ein Ende bereitet. Hm. Nur zum Vergleich: Mozart schrieb zur gleichen Zeit an seinem "Idomeneo" und wenig später die "Entführung aus dem Serail". Und doch ist es wieder mal wie so oft bei Haydn – das Geniale springt einen nicht gleich an, man muss ihm schon nachspüren.

Jens-Daniel Herzog hat dies im Falle von Giovanni Battista Lorenzis Librettovorlage getan und eine geradezu verblüffend logische Übersetzung dieses im galanten Arkadien spielenden Stücks gefunden. Die bukolische Scheinidylle entspricht jener der Sektenwelt der 1970er Jahre, der Priester Melibeo ist ein Guru, ein Rauschebart-Bhagwan; und wo Treue verpönt ist, muss das Diktat von Gruppenzwang und freier Liebe herrschen. "Erlaubt ist, was gefällt", lautet das Motto in dieser Kommune mit vielen natürlich rosarot und lila gekleideten Menschen, und über Monitor sind permanent das Konterfei des Gurus, Spendenaufrufe oder Heile-Welt-Panoramen zu sehen: eine augenzwinkernde, herrlich ironische Übersetzung des literarischen "Locus amoenus"-Topos von der anmutigen Gegend als Schauplatz für pastorales Geplänkel. Zwischendurch, im sehr langen zweiten Akt geht der Regie ein wenig die Luft, sprich die Ideen, aus, und man glaubt, dass die Transmission doch nicht bis zum Ende trägt. Doch da warten Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhardt mit einem richtigen Coup auf und lassen die Göttin Diana als Dea ex Machina, ganz wie es das Libretto vorschreibt, den Guru mit einem Pfeil erschießen. Die resolute Dame im lodengrünen Jagdanzug tritt auf dem Monitor postwendend an seinen Platz, und künftig heißt es: Big Sister is Watching You – wehe nun den Untreuen!

Witz und Esprit, aber auch tiefer Empfindungsreichtum stecken ohnedies in Haydns Musik, und der Haydn-Experte Fischer am Pult ist der richtige Mann, um das alles mit exzellenter dynamischer Feinarbeit und untrüglichem Gespür für die melodischen und harmonischen Raffinessen zu servieren. Dazu gibt es ein Aufgebot an vokalem Feinschliff von bemerkenswerter Qualitätsdichte. Ein großes Kompliment gebührt der vielseitig lyrischen Martina Janková, die trotz während der Vorstellung erlittenen Muskelrisses die Premiere mit Verve zu Ende sang. Herrlich empfindsam die beiden Mozart-Tenöre Javier Camarena und Christoph Strehl, dessen lyrischer Tenor mit seiner angenehm dunklen Färbung den langsamen Abschied vom Mozart-Fach signalisiert. Sandra Trattnigg, Eva Mei, Carlos Chausson, Gabriel Bermúdez und Anja Schlosser sowie der makellos disponierte kleine Chor zeigen, was unter Ensembleleistung zu verstehen ist: Agieren auf konstant hohem Niveau. Wie wäre es mit einem Zürcher Haydn-Zyklus mit diesem Team in den kommenden Spielzeiten?