Spektakuläre Nichtinszenierung der Oper

Herbert Büttiker, Der Landbote (30.03.2009)

Les Dialogues des Carmélites, 27.03.2009, Basel

Der Abend beginnt oratorisch und endet als Kino. Aber wo ist die Oper? Das Theater Basel misstraut den Autoren und erfindet die «Dialogues des Carmélites» neu. Zu sehen sind Erinnerungs- und Dreharbeiten, zu hören ist natürlich: die Oper.

Ein ungewöhnlicher Anblick bietet sich, wenn sich das eiserne Bühnenportal geräuschvoll öffnet. Auf der Bühne ist das grosse Orchester platziert, auf drei Stockwerken einer Tribüne, rechts und links, schön nach Registern gegliedert, mit wenig Platz dazwischen für Treppen und solistische Auftritte. Ungewöhnlich, nämlich mit der Schlussszene, der Hinrichtung der sechzehn durch das Revolutionsgericht verurteilten Karmeliterinnen, beginnt die Oper – nur ist da statt der Guillotine ein Fotokopiergerät, unter dessen Klappe die Nonnen ihr Haupt halten: Mit dem Bild, das von ihnen je bleibt, wird sich dann die überlebende Mère Marie bei ihrer Erinnerungsarbeit beschäftigen.

Nach längerer Umbaupause – man findet sich schwer in diese Inszenierung von Francis Poulencs 1957 an der Scala uraufgeführten «Dialogues des Carmélites» hinein – beginnt dann die Oper von vorn, aber eben nicht als Vergegenwärtigung des Geschehens, sondern als Monodrama der Mère Marie: Ein kleineres Podest von der Fläche eines Zimmers ist der Orchestertribüne vorgebaut, dort quält sich die einstige Karmeliterin mit ihrem Gewissen und der Rekonstruktion der Ereignisse. Sie hatte damals ihre Mitschwestern zum Gelübde gedrängt, sich selber aber dazu überreden lassen, nicht mit in den Tod zu gehen. Jetzt arbeitet sie das Geschehene auf, mit vielerlei Material, Notizen, Bildern, Fotokamera, Tonbandgerät. Wie eine Bühnenbildnerin bedient sie sich des Skizzenbuchs und dreidimensionaler Modelle, die von einer Videokamera aufgenommen und auf eine grosse Leinwand projiziert werden.

Lange bleiben die handelnden Personen, in deren Zentrum die aus Lebensangst ins Kloster eingetretene Blanche steht, im Dunkeln. Aber immer mehr wird die Vergangenheit lebendig: etliche Male treten die Figuren leibhaftig in Maries Zimmer auf. Mit der sich zuspitzenden Konfrontation von Kloster und Revolutionsterror entgleitet die Erinnerung dann der privaten Recherche. Ein Filmteam betritt plötzlich die Szene, Kulissen werden aufgefahren, Beleuchtungsapparaturen, Kameraleute Toningenieure, Statisten. Manches wird im Hintergrund inszeniert, aber in Nahaufnahmen auf der Kinoleinwand gezeigt.

Vielschichtige Inszenierung

Beides, die Oper als Rückschau und als Kino, reflektiert die Stoffgeschichte. Die Aufzeichnungen der Zeugin Marie de l’Incarnation und andere Quellen der historisch verbürgten Enthauptung der Karmeliterinnen am 17. Juli 1794 verarbeitete Gertrud von Le Fort (1931) zur Erzählung «Die Letzte am Schafott». Daraus formte Georges Bernanos 1947 für einen (nicht realisierten) Film ein Skript, das dann Poulenc als Libretto diente. Jetzt, vor den Augen des Opernpublikums, wird der Film doch noch realisiert: ein historischer Schinken mit einem Jesus-Star in Bademantel, der (für die Probe) die Designersonnenbrille am Kreuz nicht weglegt.

Wie der Regisseur Benedikt von Peter den vielschichtigen Ansatz seiner Inszenierung minutiös und im Detail schlüssig umsetzt, ist ebenso faszinierend wie verwirrend im Nebeneinander der verschiedenen Perspektiven. Was dabei unterzugehen droht, ist in gewissem Sinn die Oper selbst, deren Präsenz sich in den Reflexionen auflöst. Das heisst nicht, dass die Partitur nicht sehr wohl realisiert wird in ihrer Substanz (mit etlichen Eingriffen freilich, was die Zuteilung einzelner Passagen an die aufgewertete Rolle der Marie betrifft). Klanglich ist das Ergebnis der oratorischen Aufstellung hervorragend, die Orchesterarbeit ist von funkelnder Pracht, und das Ensemble zeigt teils imponierende Leistungen. Als wichtigste seien hier nur die darstellerische von Hanna Schwarz als Mère Marie und die stimmlich sehr schöne von Svetlana Ignatovich als Blanche genannt. Einen sozusagen solistischen Auftritt hat der Dirigent, Cornelius Meister, ganz vorn für sich auf der Hauptbühne. Mit klarer, präziser Gestik sorgt er für eine stetige und starke Präsenz von Poulencs Musik.

Redeverbot für die Botschaft

Der Musik erweist die Inszenierung somit durchaus ihre Reverenz. Was ihr genommen ist, ist aber gleichsam die direkte Rede, und das ist – liest man Interviews und Aufsatz im Programmheft – sogar Zweck der aufwendigen Inszenierungsarbeit: Redevorbot für eine Botschaft, die das Martyrium, das Opfer des individuellen Lebens für die Idee verherrlicht, für den antiaufklärerischen Katholizismus, so und ähnlich lauten die Argumente. Ob da nicht das Stück seinerseits durch eine gefärbte ideologische Brille gesehen wird? Im genauen Fokus auf das dramatische Geschehen zeigt die Oper des «Rennouveau Catholique» nämlich eine weit offene Dialektik.

Der Tod der Karmeliterinnen ist das Produkt vieler Faktoren, Fanatismus der Revolution und der Religion treffen aufeinander, und das Martyrium, das Blanche am Ende «freiwillig» auf sich nimmt, schliesst den Betrug ein, bei welchem sich die machtgierige Mère Marie, ein lavierender Priester und die naive junge Constance in die Hände spielen, und es ist nicht gesagt, dass die Dialektik zwischen Todesangst und -hymnus aufgelöst ist, wenn am Ende das Geräusch des Fallbeils Blanches Gesang abschneidet. Wenn das alles in den Facetten des dramatischen «Dialogs» ganz gegenwärtig gemacht würde, wäre diese Oper auch einfach inszeniert brisant.