«Dekonstruktion» bis hin zur quälenden Langeweile

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (30.03.2009)

Les Dialogues des Carmélites, 27.03.2009, Basel

Benedikt von Peter hat am Freitag «Les Dialogues des Carmélites» auf die Basler Opernbühne gebracht - und ein weiteres Mal die Tücken eines Regie-Theaters demonstriert, das glaubt, immer wieder alles neu und anders machen zu müssen.

Wenn sich Türme in den Basler Bühnenhimmel erheben, läuten die Alarmglocken. In schlechter Erinnerung ist die «Norma» von 2002, die Robert Schuster mit szenisch und akustisch höchst zweifelhaften Folgen auf einem riesigen Gerüst spielen liess.

Benedikt von Peter nun geht für Francis Poulencs «Les Dialogues des Carmélites» - eine Oper, die auf historischen Ereignissen während der Französischen Revolution basiert und 1947 bis 1957 im Geist des «renouveau catholique» entstand - noch einen Schritt weiter: Das gesamte Orchester setzt er in drei Etagen übereinander auf das Gerüst.

Optisch und klanglich zweifelhaft

Szenisch ist das sicher kein Gewinn, denn Orchestermusiker sind nicht geborene Schauspieler, und versteckt hinter ihren riesigen Notenpulten und den Monitoren war ihr optischer Unterhaltungswert gleich null.

Klanglich war das Resultat dieses Experiments ebenfalls recht zweifelhaft. Der junge Dirigent Cornelius Meister schaffte es zwar mit bewundernswert klarer Zeichengebung, mit weit ausholenden Bewegungen und nie nachlassender Energie, das klangliche Geschehen bis auf einige wenige Momente wirklicher Disharmonie weitgehend zusammenzuhalten. Eine Feinzeichnung, die diesen Namen verdient, war aber unter diesen Umständen nicht möglich.

Poulencs Musik erträgt einiges an plakativer Flächigkeit, aber sie würde durch kammermusikalische Präzision und sensibel austarierte Klangmischungen noch viel gewinnen. Für den Zuhörer zudem ergeben sich weitere Probleme: Wer vorne in der Mitte sitzt, hört einen Raumklang, der an moderne Soundsysteme erinnert, aber gerade die eminent wichtigen Holzbläser sind dabei total unterbelichtet. Wer hinten an der Seite sitzt, hört klanglich keinen Unterschied zu einem Orchester, das im Graben sitzt.

Schöne Einzelleistungen

Auch die Sänger profitierten nur bedingt von ihrer Position mitten im Orchester. Insbesondere chorische Szenen tendierten zu rhythmischen und klanglichen Ungleichgewichten. Schöne Einzelleistungen etwa boten Rolf Romei als Blanches Bruder und vor allem Svetlana Ignatovich als Blanche, während die mittlerweile 65-jährige Wagner- und Strauss-Heroin Hanna Schwarz als Mère Marie die Limiten ihrer Stimme nicht verbergen konnte. Die Schärfe und Monochromie ihres Gesangs passten zwar zum Regiekonzept, aber nicht zu den Klangfarben der Partitur.

Die Dialoge nur noch eine Tonspur

Benedikt von Peter erzählt die Geschichte vom Schluss her: Die Hinrichtung der 16 Karmeliterinnen während des Terrors der Französischen Revolution stellt er an den Anfang. Darauf folgt die Rückblende: Mère Marie, die Priorin, die dem Gemetzel entkam, aber am Ursprung des kollektiven Märtyrergelübdes stand, wird von ihren Erinnerungen gequält. Mit Pappfiguren und Kartonkulissen bastelt sie sich auf ihrem Tisch die Geschichte immer wieder zusammen. Eine Videokamera begleitet sie dabei, und so sehen wir auf der Leinwand die Bastelfigürchen in Aktion, während irgendwo auf dem Gerüst immer wieder mal jemand singt. Die Regie hat sich nicht die Mühe gemacht, die Papp-Dramaturgie der Handlung anzupassen. Wild purzeln Aktionen, Erinnerungen und Assoziationen in Mère Maries Kopf und auf der Leinwand umher, während die Dialoge nur noch als Tonspur funktionieren.

Dieser bald quälend langweiligen «Dekonstruktionsphase» wie sie Peter nennt, folgt eine «Konstruktionsphase»: Ein Hollywood-Produzent hat die Story der 16 Märtyrerinnen entdeckt. «The True Story» heisst das Filmdrama, das nun mit viel Action auf dem engen Raum zwischen den Bühnentürmen inszeniert wird. Blanche ist zum Moviestar avanciert, der Kaplan mutiert zum dekorativen Flower-Power-Jesus, fast glauben wir schon an ein Happy End.

Aber die Musik kann auch Peter nicht umdrehen: Noch einmal erklingt das Salve Regina, noch einmal senkt sich in enervierender Unerbittlichkeit das Fallbeil der Guillotine. 16 Mal reibt Eisen auf Eisen gefolgt vom dumpfen Schlag der Pauke, immer leiser wird der Gesang der Karmeliterinnen, bis die letzte Stimme verstummt.