Das Kreuz mit dem Kruzifix

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (30.03.2009)

Les Dialogues des Carmélites, 27.03.2009, Basel

Die «Dialoge der Karmeliterinnen» von Francis Poulenc an der Basler Oper

1957 wurde in der Mailänder Scala die Oper «Dialogues des Carmélites» uraufgeführt. Jetzt ist sie, mit gehörig veränderter Botschaft, in Basler Erstaufführung am Theater Basel angekommen. Eine zugleich grossartige und höchst diskutable Produktion.

Eigentlich gar nicht so übel, Nonne zu sein. Man haust in seiner privaten Zelle, hat sein Fernseh- und sein Spulentonbandgerät, kann Spielzeugkirchen basteln und beten anstatt zu arbeiten, ungehindert in Familienerinnerungen schwelgen und einer gewissen Religionsnostalgie frönen. Stöckelschuhe sind auch noch erlaubt. Vorausgesetzt, man braucht ausser dem Beichtvater keine Männer, ist das auszuhalten.

Wäre da nicht die französische Revolution mit ihrem Wahn, alles zu säkularisieren und die Nonnen sogar in den Guillotinentod zu schicken. Mit dieser Störung der klösterlichen Idylle, die Georges Bernanos (Text) und Francis Poulenc (Musik) uns drei lange Stunden lang vorführen, wird die Regie von Benedikt von Peter auch noch fertig werden.

Obhut. Doch zunächst mal der Reihe nach. Die junge Blanche (überragend präsent mit ihrem geschmeidigen Sopran: Svetlana Ignatovich) tritt freiwillig in ein Karmeliterinnenkloster ein, wo sie ihre Schreckhaftigkeit verlieren will. Dort lernt sie eine andere Novizin, Constance, kennen, mit der sie eine enge Freundschaft schliesst, die auch Rivalität kennt (Agata Wilewska singt sie mit sinnlich weichem, anmutigem Sopran). Später wird Blanche vorübergehend aus dem Kloster zurück zu ihrem Vater und Bruder fliehen (Allan Evans und Rolf Romei).

Podest. Die todkranke Priorin (mit überstark tremolierendem Alt: Rita Ahonen), die selbst eine wichtige Rolle im Leben der labilen Blanche spielen möchte, hat diese stellvertretend in die Obhut der lebenserfahren-weisen Mutter Marie gegeben. Mit Sophie Angebault glänzend besetzt ist die Nachfolgerin der Äbtissin, die Poulenc mit kräftig akzentuierten Melodien als lebenstüchtige Frau aus dem Volk zeichnet. Marie aber wird zum Zentrum der Basler Aufführung, wird herausgehoben im buchstäblichen Sinn des Wortes. Einmal, weil Marie als Einzige dem Tod auf dem Schafott entgeht – die sechzehn metallisch harten Schläge im Schlussbild, die das Sterben der Nonnen klanglich illustrieren, fahren einem wahrhaft ein. Dann, weil die Altistin Hanna Schwarz – Bayreuth-erfahren wie nur wenige Sängerinnen dieser Welt – der Marie im Sprechen wie im Singen und Spielen eine einzigartige Authentizität und Dringlichkeit verleiht.

Sie haust auf einem Inselpodest, das mitten auf die Bühne gebaut wurde (Bühnenbild: Natascha von Steiger) und ihr ganzes Hab und Gut beherbergt. Hinter ihr erhebt sich ein dreistöckiges Gerüst, auf dem die Orchestermusiker sitzen und stehen und das immer wieder sehenswerte Theater des Musikmachens aufführen. Dass sie so weit vom Dirigenten Cornelius Meister entfernt sind, mag einige Koordinationstrübungen erklären, die aber das hervorragend präsente Spiel des Sinfonieorchesters Basel kaum beeinträchtigten.

Kunstgriff. Die Musik Poulencs, den man sonst eher als Miniaturisten und Humoristen kennt (Orgelkonzert, «Histoire de Babar»), erinnert bald an Claude Debussys «Pelléas», bald an Igor Strawinskys «Psalmensinfonie». Es ist Musik voller Schönheit, an welcher die Erschütterungen der Zwölftonmusik und des Serialismus spurlos vorbeigegangen sind.

Poulenc schuf mit diesem Stück, das in Basel leicht gekürzt gegeben wird, inmitten einer von Zweifeln zerrissenen und vom philosophischen Existenzialismus geprägten Zeit ein Dokument des katholischen Glaubens. Damit nun tut sich die Basler Aufführung (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln) schwer. Ein positives Bild von bedingungslosem Glaubenseifer, ja sogar von Todesbereitschaft im Martyrium zu zeichnen, ist nach den ungezählten politisch-religiös motivierten Selbstmordattentaten der jüngsten Vergangenheit fast zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden.

Die Regie, die wie so oft in der Basler Oper keinen gedanklichen und materiellen Aufwand scheut, greift zu einem Kunstgriff, der die Botschaft in ihr Gegenteil verkehrt. Die Revolutionäre, die das Nonnenkloster aufheben und die Frauen zum Tod verurteilen, sind Darsteller einer Filmproduktionsfirma, die sich Hollywood-like «The True Story» nennt und einen pseudodokumentarischen Streifen im Stil eines melodramatischen Krippenspiels über die französische Revolution dreht.

Benedikt von Peter, der unlängst mit dem renommierten Götz-Friedrich-Regiepreis ausgezeichnet wurde, hat damit gewiss ein Akzeptanzproblem dieses Werks aus der Welt geschafft (und die szenische Umsetzung ist glänzend gelungen). Zugleich aber hat er ein neues Problem geschaffen: Es wird nicht recht nachvollziehbar, wie die ehrlichen Glaubensschwestern der ersten zwei Drittel der Aufführung plötzlich zu versierten Filmschauspielerinnen werden. Überdies verdeckt die in naturalistischer Genauigkeit auf die Bühne gestellte Aufnahme-Apparatur den Blick auf das Geschehen. Man darf auch fragen, ob diese Interpretation nicht die Schrecken der Revolution, die es ja tatsächlich gab, verharmlost.

Langer, aber eher verhaltener Applaus für eine ambitionierte Opernaufführung, die nicht zuletzt wegen der gesanglichen Leistungen ihre Anhänger finden dürfte.