Tod durch das Kopiergerät

Alexander Dick, Badische Zeitung (30.03.2009)

Les Dialogues des Carmélites, 27.03.2009, Basel

Man muss es sich hin und wieder einfach in Erinnerung rufen. Theater kommt aus dem Griechischen – théatron – und bedeutet so viel wie Schaustätte. Ergo muss dort auch etwas gezeigt werden. Nach unendlich langen, quälenden dreieinhalb Stunden "Les Dialogues des Carmélites" an der Basler Oper – Francis Poulencs Oper ist normalerweise eine gute Stunde kürzer – fragt man sich, was das gewesen sein soll. Den Beweis der Behauptung aus dem Programmheft, es habe sich um eine Inszenierung gehandelt, blieb der Regisseur Benedikt von Peter schuldig.

Natürlich ist Poulencs 52 Jahre alte Oper kein linear konzipiertes Drama. Die (wahre) Geschichte um die 16 Karmeliterinnen aus der Zeit der französischen Revolution, die sich weigerten ihrem Gelübde abzuschwören und dafür 1794 den Märtyrertod durch die Guillotine erlitten, besticht durch ihre psychologisierend-dialogische Struktur – und ihren distanzierten Erzählstil. All das lässt Herr von Peter das Publikum nur erahnen, wenn er sich der Regie lange Zeit verweigert, indem er das Stück erst in den ermüdenden Aggregatzustand eines Oratoriums überführt und am Ende wie eine Soap-Oper aus der Zeit der französischen Revolution enden lässt. Mit gigantischem Aufwand (Bühnenbild: Natascha von Steiger; Kostüme: Katrin Wittig): Ein ganzes Filmproduktionsteam bevölkert die Bühne und müllt sie mit Pappkulissen zu – das, zugegeben, propre Ergebnis lässt sich auf zwei Projektionswänden live verfolgen: "Les dialogues des Carmélites – The True Story", heißt das dann. Vermutlich ironisch.

War das, was zuvor zu sehen war, demnach keine Ironie? Was dann? Zu Beginn lässt Peter nämlich erst einmal das Finale – den Gang zum Schafott beinahe oratorisch aufführen. Wenn man einmal davon absieht, dass die 16 Delinquentinnen immerhin ein Podest besteigen und ihren Kopf auf eine Büromaschine legen müssen: Tod durchs Kopiergerät. Die 16 eingescannten Köpfe darf man an einer Wäscheleine über weite Teile des Abends bewundern. Sie behindern allerdings die Sicht auf eine Leinwand, die die meiste Zeit Schauplatz der Aktion ist. Auf ihr sieht man rudimentär Szenen, die (wieder mal!) eine Videokamera live von kleinen Modellen überträgt, mit denen Mère Marie, die einzige Überlebende des Massakers, spielt. Denn eigentlich wird das Stück aus ihrer Retrospektive gezeigt. Behauptet die Regie. Wobei man vom Glück sagen kann, dass Hanna Schwarz, eine der wirklichen Tragödinnen des Musiktheaters, dank ihrer Bühnenpräsenz im Grunde keines Regisseurs bedarf.

Dem größten Unfug des Abends indes kann sie auch nicht Paroli bieten. Das wäre Aufgabe von Cornelius Meister gewesen. Der Heidelberger Generalmusikdirektor widersetzte sich offenbar nicht der Platzierung des Orchesters auf einem die ganze Bühne füllenden Gerüst auf drei Ebenen. Oben Bläser, in der Mitte die Streicher, ganz unten der Rest. Das bereitet immer wieder Koordinationsprobleme – trotz Meisters umsichtigem Dirigat und zahlreichen Monitoren. Es behindert aber auch die Balance und Abstimmung mit den Sängern, aus deren Reihen besonders die hochsensible Svetlana Ignatovich (Blanche) sowie Ralf Romei (Chevalier) und Sophie Angebault (Madame Lidoine) hervorgehoben seien. Henry Polus’ Frauenchöre pflegen weltentrückte Klänge, und der Charakteralt von Hanna Schwarz, dem Star des Abends, besitzt die Fähigkeit zur exakten, kantigen Zeichnung, wirkt allerdings in der Höhe brüchig. Für die Sänger und Musiker gab’s großen Beifall und – merkwürdigerweise – auch für die Regie. Vielleicht, weil die finale Soap das Basler Theater doch noch ein bisschen zur Schaustätte machte.