Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (31.03.2009)
Opernhaus: Robert Carsen inszeniert Giacomo Puccinis Melodrama «Tosca».
Statt die Effekte des Eifersuchtsdramas «Tosca» plakativ nach aussen zu kehren, werden sie in der neuen Zürcher Inszenierung ins Innere der Protagonisten projiziert - mit zwiespältigem Gelingen.
«Tosca» ist zweifellos Puccinis kompakteste Oper, ein psychologisches Kammerspiel mit sexuellen Konnotationen und mehrfach blutigem Ausgang. Die Handlung vollzieht sich in weniger als 24 Stunden und auf drei Römer Schauplätzen, die nur wenige hundert Meter voneinander entfernt liegen. Die Einheit sowohl der Zeit wie auch des Orts sind somit vorbildlich eingehalten, und eine zusätzliche Einheitlichkeit gewinnt das Stück zudem durch seine Fokussierung auf die Titelheldin Tosca.
Was mag es bedeuten, wenn die Protagonistin einer Oper von Beruf selber Sängerin ist? Rein ästhetisch gesehen wird dadurch das, was eigentlich nur der künstlerischen Darstellung dienen soll, nämlich das Singen und Spielen auf der Bühne, selber zum Inhalt dieses Spiels - potenzierte Kunst sozusagen. Tosca habe sich, so argumentiert Robert Carsen, ganz ihrer Kunst verschrieben, und das mit der fatalen Folge, dass sie die Kunst nicht mehr vom Leben zu unterscheiden vermöge und die Bühne nicht mehr vom Boden der Realität.
Normales Theater
Genau das soll in der Inszenierung gezeigt werden - wie sich bei Tosca reale Persönlichkeit und fiktives Rollenspiel zu einer Künstlerexistenz im Rampenlicht der Bühne und des ästhetischen Scheins vermischen, abgehoben vom Boden der Realität. Diese Bühne ist in der Zürcher Neuinszenierung denn auch omnipräsent - vor allem in den Bühnenbildern von Anthony Ward. So spielt der erste Akt nicht in der Kirche Sant'Andrea della Valle, der zweite nicht im Palazzo Farnese und der dritte nicht auf der Engelsburg, sondern alle drei auf jenen Brettern, die bekanntlich die Welt bedeuten. Ein unkonventioneller Deutungsansatz.
Doch was auf diesen Brettern dann inszeniert und gespielt wird, ist vergleichsweise konventionelles «Tosca»-Theater. Im ersten Akt ein exaltiertes Eifersuchtsdrama, das in unserer heutigen «freilebigen» Zeit eher theatralisch wirkt, im zweiten Akt ein von sexuellen respektive sadistischen Triebkräften gesteuertes Drama, das in seinen besten Momenten tatsächlich unter die Haut geht. Denn spätestens hier wirkt auch das Bühnenbild mit seiner im Hintergrund durch einen eisernen Vorhang abgetrennte Bühne nicht mehr doppeldeutig symbolisch, sodass aus dem intendierten Theater im Theater sozusagen «normales» Theater wird: eine «Tosca» wie schon oft gehabt, hier aber - dank Robert Carsens minutiöser Personenführung - zu einem spannenden Kammerspiel aufgezäumt.
Protagonisten der Superklasse
Dazu stehen ihm drei Protagonisten von Ausnahmerang zur Verfügung. Emily Magee gibt als Tosca ihr Rollendebüt, eine Diva von Format, die über urgesunde vokale Ressourcen verfügt und diese auch wirkungssicher einzusetzen versteht. Man mag in ihrem vollmundigen Gesang da und dort die emotionale Verletzlichkeit einer vom Leben geschundenen Künstlerin vermissen - die Entschiedenheit indes, mit der sie sich immer wieder zur Wehr setzt, beeindruckt in jeder Phrase, in jeder Geste. Darstellerisch und sängerisch gleichermassen überlegen gestaltet Jonas Kaufmann den Cavaradossi: weit mehr als nur ein tenorales Heissblut, obwohl ihm gerade die wirklich «heissen» Töne - darunter die gefürchteten «Vittoria»-Rufe - mit geradezu glühender metallischer Intensität gelingen. Darüber hinaus beeindrucken das natürliche Legato seiner Gesangslinien sowie das Piano selbst in gefährdeten Höhenlagen («Oh dolci baci» im vorgeschriebenen Pianissimo).
Thomas Hampson präsentiert sich zum ersten Mal in der Rolle des Scarpia - in seinem ersten Auftritt wie Dracula im Frack, sadistisches Verlangen nicht nur in seinen Gesichtszügen, sondern auch in der Stimme. Hier schöpft er aus dem Vollen, dreht bereits im Monolog vor dem Te Deum zu gefährlicher vokaler Grimasse auf und zeigt im zweiten Akt alle Facetten eines unverhohlen lüsternen wie auch skrupellos berechnenden Begehrens. Famos. Valeriy Murga als Angelotti, Giuseppe Scorsin als Mesner und Peter Stratka als Spoletta fügen sich nahtlos ins dramaturgische Konzept ein.
Ein Glücksfall
Nachdem der Dirigent Michael Tilson Thomas schon im Vorfeld des Probenbeginns seine geplante Mitwirkung absagen musste und Christoph von Dohnányi, der die musikalische Leitung übernommen hatte, mitten in den Proben ausstieg, sprang Paolo Carignani ein. Ein Glücksfall. Er gibt der Musik mit entwaffnender Natürlichkeit ihr Sentiment, aber gleichzeitig auch Raffinement, Gefühl wird nie zur Gefühlsduselei. Zwar lässt er die Musik auf vollen Touren laufen, dirigiert aber keinen dramatisch überhitzten Puccini, sondern lässt den Sängern und damit den musikalischen Abläufen ihre Zeit. Dank durchaus kraftvoller, aber nie blendend greller Klangfarben kommen auch die poetischen Valeurs von Puccinis Musik nachhaltig zur Geltung. Ende gut, alles gut - lang anhaltende Ovationen für alle Mitwirkenden.