Beneidenswerte Opern-Schweiz

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (27.04.2009)

La Bohème, 24.04.2009, Luzern

Die Theater Bern und Luzern überraschen mit zwei Opern-Raritäten: Benjamin Brittens «Sommernachtstraum» und Ruggero Leoncavallos «La Bohème».

Glückliche Opern-Schweiz: Am Anfang des April-Reigens glänzt Anna Netrebko in drei Zürcher «Traviata»-Abenden, an dessen Ende stehen die Premieren von zwei Opern-Raritäten in Bern und Luzern. Famose Sänger, das sei unterstrichen, gab es in allen drei Häusern zu hören.

Einer von ihnen bereitete dem Luzerner Theaterdirektor letzte Woche Bauchschmerzen, hatte sich doch sein Tenor verkühlt, die Premiere stand auf der Kippe. Ersatz für den Marcello in Giacomo Puccinis (1858›1924) «La Bohème» hätte er zuhauf gefunden. Spielt man aber Ruggero Leoncavallos (1857›1919) Vertonung der rührenden Geschichte, wirds schwierig: Keiner kennt diese Tenor-Partie.

Pech für Leoncavallo, hatte Puccini mit seiner Vertonung 1896 einen Welterfolg gelandet. Leoncavallos 1897 uraufgeführte «Bohème» hatte nie eine Chance, ist aber dennoch toll. Wenn ein Ensemble gesamthaft so wunderbar harmoniert, wenn die Protagonisten › allen voran der dennoch aufgetretene Tenor Jason Kim mit seinem ungemein süssen Timbre und geraden Linien › so prächtig singen, dann vergnügt sich das Publikum auch ohne Arien-Heuler à la Puccini zweieinhalb Stunden lang bestens.

Dem Innerschweizer Opernglück zugrunde lag eine beeindruckende Leistung des Luzerner Sinfonieorchesters, das sich unter der Leitung von Mark Forster kühn in die Verismo-Schlacht stürzte. Und die junge Regisseurin Nelly Danker zeichnete Leben und Liebe der Pariser Boheme liebevoll und schlicht, bisweilen auch augenzwinkernd nach. Ihre Regie zeigt ein tiefes Verständnis für die Musik. Bezaubernd, wie sie die wechselnden Stimmungen in Szene setzte: Liebe, Hass und Tod sind theatral aufgemischt und gehen doch überaus nahe. (…)