Falsches Glitzern

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (11.05.2009)

Arabella, 09.05.2009, St. Gallen

Eins zu eins ist das letzte Strauss-Hofmannsthal-Werk heute nicht mehr geniessbar. Das St. Galler Theater ist sich dessen bewusst. Szenisch, orchestral und sängerisch mit ziemlich unterschiedlichen Konsequenzen.

«Arabella» glitzert. Eine elegant durchbrochene Spiegelwand, dahinter ein Lametta-Vorhang, eine riesige Disco-Kugel über allem und Kostüme in Silber und Gold. Bühnenbildner Markus Meyer und Kostümbildner Sven Bindseil setzen zusammen mit dem Lichtgestalter Guido Petzold klare Zeichen. Ulrich Schreiber sieht in seinem «Opernführer für Fortgeschrittene» den Wohlklang und die Melodiosität der «Arabella» so gesteigert, dass sie für moderne Ohren zum Problem würden, Ausstattung und Regie in St. Gallen nehmen dieses Unbehagen auf und zeigen eine Welt des Scheins von Show und Oberflächlichkeit.
Empfindungen werden nur dann sichtbar, wenn sie überhöht werden, wie die Liebe zwischen Arabella und Mandryka.

Historischer Dreisprung

Regisseur Jakob Peters-Messer nimmt das Stück ernst, sehr ernst sogar, auch wenn er seine operettenhaften Seiten betont und in kühnem historischem Dreisprung sowohl im heute, in den intendierten 1860ern des Wiener Ring-Prunks als auch in der Zeit der Uraufführung 1933 spielen lässt, die nach Hitlers Machtantritt nicht mehr vom geplanten Leitungsteam realisiert werden konnte.

Von Wien nach Las Vegas

Bei Hofmannsthal versucht sich die Adelsfamilie Waldner durch eine möglichst gute Verheiratung ihrer Tochter Arabella vor den ruinösen Spielschulden des Vaters (Martin Blasius mit wenig Differenzierung und künstlichem Wienerisch) zu retten. Der Graf Mandryka aus der Walachei soll es sein: Ein Naturbursche, der direkt von der Bärenjagd nach Wien kommt, die natürliche Ursprünglichkeit aus der Provinz soll den maroden Hauptstadtadel retten.

Das kann hier nur ein Jeans-Typ mit viel Geld im Köfferchen sein, denn das Wiener Hotel der Waldners ist hier das künstliche Paradies eines glitzernden Casinos in Las Vegas.

Die 1860er-Jahre bleiben in den Kostümen immer mit präsent, wie in den Rollenbildern. Männer sind zuständig fürs Geld und greifen zum Revolver, wenn's um die Ehre geht; Frauen dürfen empfinden, aber bitte möglichst passiv.

Bei der kleinen Rolle der Mutter (Hanna Schaer, sehr textverständlich) wird das zur Karikatur, aber auch bei den drei Grafen, die Arabella umschwirren und den Ballgästen – wie alle Neben- und Randfiguren so gut geführt, dass kleine Nebengeschichten entstehen.

Sie jubeln im zweiten Akt Hitler zu wie Mickey Mouse, als die Fiakermilli ihre (bei Alison Trainer ziemlich spitzen) Koloraturen zwitschert.

Die Gleichsetzung bleibt zwar auch ironisch gebrochen problematisch, aber auch diese Szene geht unter die polierte Oberfläche der Walzer- und Polka-Rhythmen und sucht die Abgründe.

Süsse hinterfragt

Das Bühnenbild bleibt (auch ohne Umbau gibt's zwei Pausen). Nachdem der Ball mit einem Eklat endete und der erhoffte Bräutigam seine Braut für untreu halten muss, sind die Geldspielautomaten im dritten Akt aus ihren Verankerungen gelöst.

Durch Aufdeckung ihrer Verkleidung löst Zdenka (Daphné Touchais überzeugt als «Knabe» wie Frau) die Verwirrungen, der treue Matteo (Corey Bix) schwenkt in seiner Liebe sofort von Arabella zu ihr, und die Untergangsstimmung löst sich in der emphatischen Schlussszene, in der Gal James in der Titelpartie ihren wunderbar cremigen, legato-satten Sopran noch einmal richtig zur Geltung kommen lässt.

Betont: Ihren Sopran. Die Produktion bemüht sich auf allen Ebenen, die unglaubwürdige Süsse des Stücks zu hinterfragen. Leider nicht auf allen so erfolgreich wie szenisch. Während die junge, noch im Berliner Opernstudio studierende Titelheldin stimmlich sehr überzeugt, wirkt sie als Darstellerin noch ziemlich reserviert und trifft sich hier mit ihrem Mandryka von Philip Horst, den es mit Riesenkräften breitbeinig an die Rampe zu ziehen scheint.

Zur sehr undeutlichen Textbehandlung kommen bei ihm gestemmte hohe Töne und kaum differenzierte Farben oder Dynamik. Schade, dass ausgerechnet die beiden Hauptpartien szenisch abfallen.

Zu kleinräumig

Schade auch, dass die Premiere auch orchestral nicht gelang. Dirigent David Stern bemüht sich hörbar um Differenzierung, bleibt aber im Kleinräumigen stecken. Nebenstimmen stechen oft heraus.

Immer wieder tönte die Partitur sogar höchstens buchstabiert, Soli klangen an der Premiere vom Samstag verwackelt, und nie entstand jener Sog, der die Musik so unwiderstehlich machen kann. Der Regie von Jakob Peters-Messer gelingt, das Stück zu hinterfragen und neu zu sehen. Stern versucht dasselbe, verliert dabei aber das Spezifische der Musik aus dem Blick.