Hitler und ein Traumpaar im Spielcasino

Herbert Büttiker, Der Landbote (11.05.2009)

Arabella, 09.05.2009, St. Gallen

Die bankrotten Waldners versuchen in Las Vegas ihr Glück. Das Theater St. Gallen verlegt «Arabella» in die kalte Glitzerwelt eines Spielcasinos.

«Es darf sogar ein zweiter ‹Rosenkavalier› sein», schreibt Richard Strauss einmal an seinen Partner Hugo von Hofmannsthal. Die Zeit jenes verklärenden Abgesangs auf eine untergehende Welt lag schon weit zurück, der Krieg, das Ende der Donaumonarchie waren ausgestanden und nun, am Ende der Zwanzigerjahre, lag wieder ein Umbruch in der Luft. Mit «Arabella» träumten sich die Autoren nicht mehr in die Zeit Maria Theresias, sondern ins österreichische Wien um das Jahr 1866. Aktuell zur Weltwirtschaftskrise rückten sie die bankrotte Adelsfamilie ins Zentrum, die im Spiel das Glück versucht und als letzte Hoffnung eine gute Partie für ihre Tochter Arabella arrangiert.

Zunächst glücklicher als sogar für eine Komödie gut, stellt sich heraus, dass sich Arabella schon von fern in den ebenso reichen wie gefühlsstarken und prinzipientreuen kroatischen Landjunker verliebt hat, bevor er ihr vorgestellt wird. Zu einer veritablen Krise gerät die Verlobungsnacht wegen einer «unschuldigen» Intrige dann doch, und die Geschichte erhält eine Dynamik, die über die «Lyrische Komödie» hinauszuschiessen droht.

Das Happy End des Stücks ist auch nicht fröhlich, sondern feierlich. Arabella überreicht Mandryka das Glas Wasser aus dem Brunnen, das dieser austrinkt und mit den folgenden Worten auf den Boden schmettert: «So wahr aus diesem Glas da keiner trinken wird nach mir, so bist du mein und ich bin dein auf ewige Zeit!»

Noch um eine Nuance dominanter zeigt sich da Philip Horst, ein Mandryka eher aus der Prärie als aus den Tiefen der alten Donaumonarchie, mit kraftvollem, pastosem Bariton: Er zerstampft das Glas. Jakob Peter Messer (Inszenierung), Markus Meyer (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme) lassen die alte Wiener Welt überhaupt vergessen. Ein Raum im Spielcasino mit leuchtenden Slot-Machines mit Glitzervorhang und verspiegelten Wänden ist der Handlungsort aller drei Akte. Las Vegas also als Ort, der für den Traum vom schnellen Geld und für die schnelle Hochzeit steht: Diese Assoziation dient weder der Erzählung noch der Konturierung der Figuren wirklich, hat aber dennoch szenisches Potenzial für eine interpretierende Sicht auf Werk und Zeitgeschichte. Das zeigt vor allem der Ballakt, der als «Fashing in Vienna» aufgezogen ist – womit die grossen Damenroben für Arabella und die Uniformen der Herren als «Verkleidung» doch noch ins Spiel kommen, aber vermengt mit ganz anderem.

Evoziert wird die Dekadenz der Zwanzigerjahre ebenso wie der Aufstieg des Nazis: Die Hitler-Parodie, die Alison Trainer als Fiakermilli mit schmissig jodelnden Koloraturen als Staccato der Diktatorenkeiferei aufs Podest stellt, hat sich gewaschen.

Der Magier der Stimme

Mit dem brillanten Auftritt wird das satirische Zeitbild – 1933 war das Uraufführungsjahr der «Arabella», bei der die Nazis bereits mitdirigierten und Strauss Nachgiebigkeit bewies – zum Höhepunkt der Inszenierung, und man vergisst darob fast das Casino der Gegenwart, das mit den Strahlen der Discokugeln zum feierlichen Final seinen Beitrag leistet. Darin lebt ja noch einmal alle Süsse und Seligkeit auf, die Strauss als Magier der Gesangsstimme aufzubieten hatte, wobei er sich auch in eine Sammlung kroatischer Volkslieder vertiefte, um die Herztöne der «Arabella» zu finden.

Traum und Albtraum

Die israelische Sopranistin Gal James ist als Arabella mit leuchtend warmen Höhen, geschmeidiger Phrasierung und dramatischen Ressourcen in vielerlei Hinsicht eine ideale Strauss-Sängerin. Dass oft wenig an Textverständlichkeit über den Orchestergraben hinweg kam, war nicht nur bei ihr ein Problem und hatte auch mit einem Orchester zu tun, das tendenziell eher zu laut spielte. Unter der Leitung des St. Galler Chefdirigenten David Stern brauchte die Premiere auch einige Zeit, um die gestalterische Homogenität zu erreichen, die im turbulenten zweiten Akt und im starken Zug des etwas langfädigen dritten Aktes immer wieder beeindruckten.

Parlandomusik, der schwer zu folgen ist, Auftritte und Abgänge, die von der Regie eher beiläufig behandelt werden: Das mit Martin Blasius als Graf Waldner, Hanna Schaer als Gräfin, Juremir Vieira, Frank Uhlig und Roman Jalcic als Arabellas Verehrertrio mit viel Kompetenz agierende Ensemble hat es da nicht einfach, sich glaubwürdig in Szene zu setzen.

Prägnant in den Fokus der Inszenierung rücken aber Matteo und Zdenka. Bis sie ein Paar sind, gehen sie – Komödie oder Albtraum – durch Identitäts- und Gefühlsverwirrung hindurch, die Corey Bix und Daphné Touchais musikalisch und darstellerisch intensiv gestalten. Sie führen damit eindringlich vor Augen, und das gehört zur Qualität der Aufführung, dass Hofmannsthal und Strauss die Brüchigkeit der Existenz mit bedachten, als sie Arabella und Mandryka zum Traumpaar stilisierten – eben jenseits der Schnulze.