Machtphantasien

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

Zürich Händels Agrippina in der Regie von David Pountney ist ein episches Vergnügen.

Wie beerbt man den Kaiser, der angeblich in der Schlacht gefallen ist? In Georg Friedrich Händels früher Oper «Agrippina» braucht der Thron einen neuen Herrscher und Poppea einen neuen Liebhaber. Als Claudio unerwartet und unversehrt zurückkehrt, ist die Verwirrung komplett. Fast vier Stunden dauert die Komödie in David Pountneys Inszenierung am Zürcher Opernhaus – ein paar Kürzungen hätten nicht geschadet.

Kasarova: Ein Tier der Macht

Nicht dass die Ideen ausgehen würden, daran ist wahrlich kein Mangel. Am Pult des hervorragend kammermusikalisch aufeinander hörenden Orchesters La Scintilla steht mit Marc Minkowski ein unermüdliches Kraftwerk. Er formt mit der agilen Continuo-Gruppe die gesungenen Affekte vor und nach. Dies ist umso wichtiger, als die kurzen Arien, Ensembles und Rezitative rasch ineinander übergehen.

Keine Zeit für Zwischenapplaus, obwohl ihn das Ensemble mit Anna Bonitatibus als burschikosem Nero, Eva Liebau als virtuoser Poppea und Laszlo Polgars augenzwinkernder Kaiser Claudio verdient hätten.

Im Zentrum steht Vesselina Kasarovas Agrippina, ein Tier der Macht. Ihre stimmlichen Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, sie stellt sie in jedem Moment in den Dienst der Rolle.

Auch Ottone ist mit einer tiefen Frauenstimme besetzt: Marijana Mijanovic singt ihn subtil, klingt gelegentlich aber etwas stumpf und hat es szenisch schwer gegen die Intriganten.

Traum und Albtraum

Die Regie des Bregenzer Festspielintendanten David Pountney entwickelt das Stück mit greller Ironie und schwarzem Humor als bildmächtige Phantasie der Macht.

Die inhaltliche Auseinandersetzung rückt dabei hinter die theatrale Wirkung der grellen (Alb-)Traumbilder zurück. Latex-Sklaven, aus Wänden greifende Hände, eine Turnhalle und ein Schlachthaus lassen die Geschichte immer absurder und bedrohlicher erscheinen. Für eine Oper zwischen Buffa und Ernst durchaus ein möglicher Weg, der die Spannung mit einiger Überzeichnung auch über die epische Dauer erhalten kann.