Was einst Venedig freute, ist auch in Zürich ein Genuss

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

Das Zürcher Opernhaus hat schon oft mit Georg Friedrich Händel geglänzt. Zu dessen 250. Todesjahr brachte es am Sonntag die Oper «Agrippina» amüsant und musikalisch hochstehend auf die Bühne.

Wo wir sind, wird bis am Schluss nicht so recht klar. Sicher nicht im alten Rom, wo einst die historische Agrippina ihre Intrigenfäden zog. Es ist die auch von Claudio Monteverdi bekannte Geschichte um Kaiser Claudius, seine Geliebte Poppea, seine Frau Agrippina, deren Sohn Nero, der später Kaiser wird, und Ottone, dem einzigen wahrhaften Menschen in diesem Intrigantenstadel. Oder eher Gruselkabinett. Denn, es scheint, dass wir in einem obskuren Zombie-Labor gelandet sind. Hier werden Kreaturen geschaffen, die als hübsche Tänzerinnen, süsse Plüschbärchen oder kraftvolle Sportler die Bühne bevölkern, aber auch andere Gestalten, denen man lieber nicht im Dunkeln begegnen würde.

Schräge, oft sarkastische Ideen

Die Drehbühne von Johan Engels bietet einen munteren Reigen von Räumen - vom repräsentativen Thronsaal bis zur Rumpelkammer, von der Turnhalle bis zum Chemielabor. Und David Pountney füllt diese Katakomben der Machtgier und des Liebesverlangens mit seinen schrägen, oft sarkastischen Ideen und einem Personal, das direkt der oft absurden Scheinwelt von TV-Shows entsprungen scheint und das Pountney zusammen mit der Choreografin Beate Vollack unermüdlich auf Trab hält.

Es ist ein höchst vergnügliches, pausenloses, manchmal bitterböses Zitieren und Persiflieren, eine farbige Kaskade von schrägen Anspielungen und optischen Kalauern, Running Gags und Parallelhandlungen, die noch zur meditativsten Händel-Arie eine schräge Idee aus dem Hut zaubert.

Das ist manchmal ein bisschen schade, denn Marc Minkowski zaubert seinerseits die zartesten Piano-Töne aus dem Orchester La Scintilla, der Barockfraktion des Zürcher Opernorchesters. Doch diese Momente des Bedauerns sind kurz, meistens passen Pounteys Ideen zum turbulenten musikalischen Geschehen, das Minkowski rhythmisch noch nicht immer sicher im Griff hat, aber mit vibrierendem Leben und vorwärtsdrängenden Tempi immer in schwingendem Puls vorantreibt.

Händels Arien sind ohnehin in dieser frühen Oper von 1709 noch nicht die Da-capo-Kunstwerke seiner späteren Opere serie. Zwar gibt es diese Form hier auch, aber zahlreiche Accompagnati, Ariosi, begleitete Rezitative halten die Handlung lebendig, kurzweilig. Händel schrieb «Agrippina» für Venedig und profitierte dabei nicht nur von seiner bereits dreijährigen Erfahrung in italienischen Diensten vor allem bei römischen Kardinälen, für die er Kantaten geschrieben hatte, die eigentlich geistliche Opern waren. Er schlachtete diese Werke auch mit vollen Händen aus: Bloss fünf Arien waren neu, über 40 Nummern stammten aus älteren Werken oder sogar von anderen Komponisten, was damals absolut üblich war. Dennoch traf Händel mit seiner «Agrippina» den Musikgeschmack Venedigs: 27 umjubelte Aufführungen folgten der Premiere. Und der Erfolg in Italien ebnete ihm den Weg zur grossen Karriere in England.

Hochkarätige Besetzung

Ein veritables Star-Ensemble hat Opernhaus-Intendant Alexander Pereira für «Agrippina» aufgeboten. Die Titelrolle singt Vesselina Kasarova - eine begeisternde Agrippina, die dank reicher stimmlicher Mittel und technischer Souveränität so keck und mitreissend mit den Tönen und Ausdrucksbereichen spielen kann, dass es eine wahre Freude ist. Dasselbe lässt sich von Anna Bonitatibus sagen, die als Nero von Händel fast noch die schönere Musik erhalten hat und dieser auch nichts schuldig blieb.

Bei Marijana Mijanovic als Ottone bangte man am Sonntag immer wieder um Töne und Phrasen. Trotzdem begeisterte die Altistin durch Präsenz und Intensität. Eva Liebau als Poppea und László Polgár als Kaiser Claudius wurden krank angesagt. Bei ihr war nichts davon zu hören, sie überzeugte durch ihre Frische und Leichtigkeit, sein sonst geschmeidiger Bass wirkte manchmal etwas rau, und seine Darstellung des Kaisers darstellerisch ein wenig kraftlos, was gar nicht schlecht zu dieser eher schwachen Figur in dieser ironischen Inszenierung passte.