"Tiefland" in Zürich

Jörn Florian Fuchs, Deutschlandfunk (02.07.2006)

Tiefland, 01.07.2006, Zürich

Eugen d'Alberts Oper von Matthias Hartmann inszeniert

Eugen d'Albert schrieb zwar mehr als 20 Opern, fabrizierte aber nur einen einzigen Hit: "Tiefland". Sie war ein Renner auf den Opernbühnen, allerdings in den 20er bis 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Matthias Hartmann hat sich des Werkes angenommen und es in Zürich inszeniert.

Das damalige Publikum war begeistert von großen Emotionen, wilden Kämpfen und einer Flucht in die Berge. Der distanzierte Blick von heute fällt ein anderes Urteil: Inhaltlich ist das alles veritabler Kitsch, was weniger am Stoff selbst, sondern vor allem an seiner textlichen Ausgestaltung liegt. Recht hartnäckig hält sich zudem das (Vor-)Urteil, "Tiefland" sei eine, wenn nicht die einzige, veristische Oper deutscher Provenienz. In der Tat finden sich zwar veristische Anklänge, etwa an Mascagni, aber sie erreichen dieses Niveau wirklich nicht annähernd. Zu schwerfällig fließen die großen symphonischen Bögen dahin, zu nichtssagend-illustrativ sind viele der verwendeten Leitmotive, bei denen man außerdem deutlich einen schlecht kopierten Wagner heraushört. Und letztlich ist die Geschichte um arme Hirten, reine Bergwelten und böse Mühlenbesitzer auch nicht besonders kurzweilig erzählt, sondern besitzt ziemliche Längen. Am stärksten ist d'Alberts Wagner-Verismo-Gemisch dort, wo auf beide Einflüsse verzichtet wird, etwa im Vorspiel, wo eine Solo-Klarinette wunderbare Hirtenmelodien zum Besten gibt.

So war man zunächst erstaunt, was wohl einen der klügsten Regie-Köpfe des gegenwärtigen Theaters an solch einem Werk interessieren mag. Matthias Hartmann begeistert sich nicht für den Kitschfaktor der Geschichte und macht aus "Tiefland" erfreulicherweise keinerlei "Triefland". Stattdessen leistet er einen veritablen Beitrag zur Hirnforschungsdebatte, in deren Zentrum zwei Fragen stehen: ob wir uns unsere Welt nur einbilden und ob wir einen freien Willen besitzen.

Auf der Zürcher Opernbühne stehen anfangs vier Männer in großen, gut verkabelten Glaskästen, darüber hängen Monitore und zeigen weißes Rauschen. Plötzlich naht eine Riege Weißkittel heran, einer schlüpt in einen Datenhandschuh und zaubert damit farbig-bewegte Bilder auf die Monitore. Besonders schön ist die Projektion eines Bergpanoramas, das der dazugehörige junge Mann sichtlich geniesst. Es ist Pedro und der Abstieg ins tiefe Land seines Unter- oder vielleicht auch Überbewusstseins kann beginnen.

In Pedros Schein-Welt ist die Mühle ein großer, mit dunklem Holz verkleideter Raum, der leicht surreale Züge trägt. Es gibt einen Bürotisch, eine klapprige Schreibmaschine und ein Fließband, auf dem eingetütetes Brot vorüberfährt. Hier spielt sich nun das Liebesdrama um Gewalt, Schwindeleien und eskapistische Hoffungen ab. Pedro erkennt, dass man ihn benutzt, er will und kann aber nicht von Marta lassen, die ihn anfangs ablehnt, dann jedoch herzzerreißend liebt.

Matthias Hartmann nimmt vor allem im ersten Aufzug die Textvorlage ernst und zeigt die Figuren so wie sie sind: mehr Abziehbildchen denn echte Charaktere. Im Verlauf des Abends jedoch löst er sich von diesem leicht spöttischen Umgang mit d'Alberts Personal und inszeniert nun eine Art psychologisches Drama um Macht und Machtüberwindung mittels Liebe. Vor allem das einander aufrichtig liebende Paar gewinnt deutlich an Kontur und Format.

Allerdings kann auch der eindrucksvolle Gesang von Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer nichts daran ändern, dass am Schluss wieder die Labor-Glaskästen herunterkommen und das Paar gnadenlos trennen. Immerhin, auf einem Monitor sieht man die beiden in einer innigen Kussszene vereint, im Hintergrund leuchtet ein schönes Bergpanorama.

Unweigerlich hat man dabei die Assoziation "Obersalzberg" und erinnert sich, dass "Tiefland" zu den erklärten Lieblingsstücken Hitlers gehörte und von seiner Lieblingsregisseurin, Leni Riefenstahl, verfilmt wurde. Die Oper "Tiefland" hat jedoch noch eine ganz besondere Volte, denn einige Stellen erinnern verdächtig an ein Werk, dass Hitler wohl nicht kannte: Halévys "La Juive".

Das Zürcher Festspielpublikum war von Hartmanns intelligenter Inszenierung hörbar unbegeistert und buhte sich die Seele aus dem Leib. Ungebrochenen Jubel bekam die ohne Einschränkung formidable Sängerbesetzung, inklusive dem bestens gelaunten Matthias Goerne als Sebastiano, und Franz Welser-Möst, der das Opernorchester straff-zupackend und wunderbar kitscharm durch die Partitur jagte.