Das antike Rom als Soap-Opera

Elisabeth Feller, Mittelland-Zeitung (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

David Pountneys Fantasie entzündet sich an Georg Friedrich Händels Oper «Agrippina»: Die Inszenierung für das Zürcher Opernhaus mixt munter die Stile.

Regungslos wie eine Schlange liegt sie auf dem Tisch, lässt sich von einem farbigen Muskelprotz massieren und lauert auf Beu- te. Diese Frau ist schiere Verführung. Das ist sie nicht bloss, weil sie umwerfend aussieht, sondern weil sie mit Macht ausgestattet ist. Im antiken Rom ist Agrippina (Vesselina Kasarova) die Gattin von Kaiser Claudio, den sie am liebsten vom Thron stürzen würde › zugunsten von Nerone, ihrem Sohn aus erster Ehe. Der Zufall kommt ihr zu Hilfe. Ein schwarzes Couvert wird ihr überbracht. Claudio ist im Seesturm gefallen (später wird er wieder auftauchen).

«O namenlose Freude» . . . in Beethovens Fidelio-Jubel bricht Agrippina zwar nicht aus › doch in ihren Augen blitzt es verräterisch freudig auf: geschafft! Sie wird Nerone auf den Thron hieven. Dieser schlurft › halb Punk, halb hinkender Richard III. › herbei und fährt seiner Mutter zärtlich-lüstern über die Beine. Da sind zwei offenkundig intimer verbandelt, als es die gesellschaftliche Konvention zulässt.

Das Publikum wundert und amüsiert sich, denn Regisseur David Pountney mischt Händels Dramma per Musica sowohl zur satirisch-erotischen Buffa wie zum Intrigenspiel der amerikanischen Soap-Opera «Dallas» auf. Wie in «Dallas» geht es auch in «Agrippina» um Ehrgeiz, Liebe und Macht. Bloss verkörpert bei Händel eine Frau das Böse. Agrippina lenkt mit eiskaltem Charme ihren Hofstaat mit Figuren wie Nerone, Poppea (Claudios Geliebte), Ottone (Poppeas Bewunderer) sowie Pallante und Narciso (Möchtegern-Liebhaber).

Hat die Kaiserin Lust, serviert sie ihre Ergebenen mit sadistischer Lust ab › etwa in den Tiefkühlraum mit blutigem Schlachtvieh. Solches ist garstig und wirkt im Verbund mit drehbaren Schauplätzen wie Klonlabor, Badezimmer mit gestapelten Leichen sowie Kinderzimmer mit Plüschtieren schrill und disparat. Aber: «Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode», sagt Hamlet und David Pountney, Johan Engels (Bühne) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme) halten sich daran. Sie mischen die Genres ohne Rücksicht auf Verluste zu einem Patchwork der Stile. Und: Sie entdecken im Libretto, dass diese Oper stark vom verbalen Säbelrasseln lebt.

Beispielhaft für das stete Vortäuschen ist Agrippinas Arie, in der sie Claudios Verlust beklagt. Doch bei jedem ihrer Worte schwingt das Frohlocken über den Gattentod mit. Zwei Arien weichen von diesem Vortäusch-Muster ab: Ottones Bitterkeit über seinen vermeintlichen Verrat an Claudio sowie Agrippi- nas Selbstzweifel. Hier ist sie so sehr bei sich, dass sich am Ende keine Hand zum Applaus regt › obgleich Vesselina Kasarovas Kunst ihn nahegelegt hätte. Damit sind wir bei den musikalischen, beglückenden Meriten. Dirigent Marc Mikowski entfacht mit dem Orchestra La Scintilla einen dunkel glühenden, rhetorischen Glanz mit prägnant rhythmischem Profil und solistischen Glanzlichtern.

Diese orchestrale Strahlkraft beflügelt das Ensemble. Wie Vesselina Kasarova aus hauchzarten Melismen mörderische Wut destilliert oder metallisch klingenden Willen im Wechsel mit betörender Süsse hält › das ist mit der schauspielerischen Anverwandlung der Figur magistral. Gleiches gilt für Marijana Mijanovics Ottone, den die Sängerin mit samtenem Alt zum anrührenden Menschen adelt, Anna Bonitatibus’ abgefeimten Nerone, Eva Liebaus Naivität und Kalkül mischende Poppea sowie Ruben Droles Pallante, José Lemos’ Narciso und Lászlo Polgárs Claudio: Er ist ein Kaiser, der Auseinandersetzungen umschifft, indem er liest.