Rabenschwarzer Humor auf knallbunter Bühne

Susanne Kübler , Tages-Anzeiger (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

Drastisch, klamaukig, opulent ist David Pountneys Inszenierung von Händels «Agrippina» im Zürcher Opernhaus. Und manchmal etwas zu laut für die Musik.

Es herrschten unsympathische Sitten in der Familie der römischen Kaiserin Agrippina (15-59 n. Chr.). Ihr Bruder Caligula schickte sie in die Verbannung, sie selbst vergiftete später ihren zweiten Ehemann, um danach ihren Onkel Claudius zu heiraten und ebenfalls zu vergiften - damit der Thron frei werde für ihren Sohn Nero.

Der Librettist von Händels Oper «Agrippina», Kardinal Vincenzo Grimani, liess denn auch keine Zweifel aufkommen an der moralischen Verwerflichkeit dieser Frau. «Vor dem Willen zur Macht beugt sich das Recht», teilt sie ihrem Sohn gleich zu Beginn des Abends mit, und in der Folge zeigt sie mehr als deutlich, was sie damit meint. Der wackere Ottone hat Claudius gerettet und soll dafür den Thron besteigen? Er muss sofort aus dem Weg geräumt werden. Poppea liebt Ottone? Dann muss man diese Liebe dringend zerstören.
Diese drastische Geschichte wird in der Zürcher Aufführung noch kräftig zugespitzt: Regisseur David Pountney lässt Agrippina in einem seltsamen Labor hausen, in dem roter Saft in Flaschen aufbewahrt wird, geschlachtete Rinder hängen und tote Männer herumliegen. Und Vesselina Kasarova gibt die Titeldomina mit hassverzerrtem Gesicht und zuckersüsser Stimme, mit vokaler Dramatik und einer Gefühlskälte, die nicht nur ihre im Kühlraum eingeschlossenen Verehrer Pallas und Narziss erschauern lässt.

Latextänzer, Luxussklave

Knallbunt ist Johan Engels’ Drehbühne, auf der diese Agrippina ihre Intrigen in Gang bringt, und rabenschwarz der Humor, mit dem Pountney seine Inszenierung würzt. Der Aufwand für das Ganze ist superlativisch: Neben den neun Vokalisten, die allesamt ihr Rollendebüt geben, treten zwei Turner auf, ein muskulöser Schwarzer als Agrippinas Luxussklave sowie eine Tanztruppe in Sado-Maso-Latex (Choreografie: Beate Vollack). Die toten Männer sind nur teilweise aus Gips, einige von ihnen werden immer mal wieder lebendig - genau wie die Riesenkuscheltiere der girliehaften Poppea. Und Agrippina wechselt ihre von Marie-Jeanne Lecca entworfenen Kostüme an diesem Abend häufiger als Madonna während ihrer Konzerte.

So hat man während der knapp vier Stunden (Pause inklusive) immer etwas zu schauen. Trotzdem wird der Abend lang. Das hat einerseits damit zu tun, dass einen die Umtriebigkeit auf der Bühne mit der Zeit erschlägt. Andererseits und vor allem damit, dass es die Musik schwer hat in dieser Inszenierung, die Zwischentöne bewusst ausblendet.

Das fällt umso mehr auf, als es die Musik schon im Stück - mit dem der junge Händel 1709 in Venedig seinen Durchbruch feierte - nicht ganz leicht hat. Denn Gefühle, so ein weiterer Leitsatz der Agrippina, stören auf dem Weg zur Macht. So kommen sie hier fast nur geheuchelt vor: als vorgetäuschte Liebe, als Parodie einer Freundschaft, als falsche Demut. Das ist nun allerdings eine schwierige Ausgangslage für eine Barockoper, in der die Gefühle, die Affekte das Ein und Alles zu sein haben. Die Handlungen dieser Werke sind ja nicht zuletzt deshalb so kompliziert, weil sie möglichst ohne Umwege von der Liebe zum Hass, von der Verzweiflung über den Zorn zum Jubel führen müssen. Wenn hinter all dem immer nur Kalkül steckt, wirkt das rasch etwas eindimensional. Und es wird für die Interpreten nicht einfacher dadurch, dass Händel einen Grossteil seiner «Agrippina»-Arien aus früheren eigenen oder auch fremden Werken entliehen hat - in denen die Gefühle eben ernst gemeint waren.

Dirigent Marc Minkowski weiss das, und er tut mit dem Orchestra la Scintilla alles, um die doppelten Böden deutlich zu machen. Auch wenn er wie immer auf Tempo und Attacke (und Risiko) spielen lässt, muss nicht alles knallbunt sein bei ihm: Es gibt auch zarte Bläser- oder elegante Streicherpassagen, federnde Bässe und ein farbiges, aber nie protziges Continuo. Mit all dem unterstreicht Minkowski die Geschichte - etwa indem er die «offizielle» Rede anders artikulieren lässt als die Seitenbemerkungen einer Figur. Wenn Agrippina der Poppea ewige «Freundschaft» schwört, dann klingt das nicht zuletzt dank des Orchesters wie eine Drohung.

Solche Doppelstrategien beherrschen auch die Sängerinnen und Sänger - nicht nur die schon erwähnte, hinreissend abstossende Agrippina der Vesselina Kasarova. Da gibt es auch ihren eher flegelhaften als bösen Sohn Nero, den Anna Bonitatibus mit viel Schmelz, vokaler Wärme und Virtuosität gibt (der echte Nero soll schliesslich Kunst und Musik geliebt haben). Kaiser Claudius, der sich selbst in weissen Kniesocken noch für verführerisch hält, wird von László Polgár mit entsprechend charmantem Bass ausgestattet. Eva Liebau als Poppea singt mit hellem, verzierungsfreudigem Sopran, der zuweilen durchaus oberflächlich wirken darf. Und in den kleineren Rollen - als Pallas und Narziss in Barockperücken oder als grau-schlauer Diener Lesbos - bieten Ruben Drole, José Lemos und Gabriel Bermudez herzhafte Karikaturen.

Anstand hat es schwer

Aber allen Bemühungen um musikalische Finessen zum Trotz: Die Bösen und Lauten haben in dieser Aufführung bessere Karten als die Guten. Das bekommt vor allem Ottone zu spüren, der sich als einziger nie verstellt. Die Altistin Marijana Mijanovic gibt ihn, als kluge Gestalterin und mit unverkennbar dunklem Timbre. Aber sie wirkt insgesamt spröder, weniger strahlkräftig als in anderen Rollen - was zweifellos auch damit zu tun hat, dass Pountney zu dieser grundanständigen Figur nicht viel eingefallen ist. Etwas saftlos leidet sich dieser Ottone durch die Aufführung, überdröhnt vom szenischen Spektakel. Ein geborener Loser, trotz der schönen weissen Uniform.

Am Ende strahlt er dann doch, wie alle anderen. Glücklich umarmt er seine ebenfalls glückliche Poppea, Nero erbt den Thron, Agrippina triumphiert, Claudius darf sich grossmütig fühlen. Die Geschichte weiss allerdings, wie zweifelhaft dieses Opern-Happy-End ist: Ottone hat Poppea später an Nero verloren (eben doch ein Loser, man erlebt es in Monte-verdis «Incoronazione di Poppea»). Und Nero hat nicht nur seine Mutter ermordet, er soll mit einem Fusstritt auch die schwangere Poppea getötet haben. Auch das wäre ein schöner Opernstoff - und Pountney zweifellos der richtige Regisseur dafür.