Wenn sich alles um den Lorbeer dreht

Elisabeth Schwind, Südkurier (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

Eigentlich hatte der junge Händel gar keine Lust, eine Oper zu schreiben. So jedenfalls kolportiert es sein Biograf John Mainwaring. Nun befand sich Händel aber gerade auf Italienreise, war also in Sachen Bildung und Eigenwerbung unterwegs, als die Idee der Oper an ihn herangetragen wurde. Und auch wenn sich Händel wenig „Nutz und Ehre“ davon versprach, konnte er die Gelegenheit wohl doch nicht verstreichen lassen. Zum Glück: Mit „Agrippina“, der 1709 uraufgeführten Oper um die intrigante römische Kaiserin Aggripina, die um jeden Preis ihren Sohn Nero auf den Thron hieven möchte, erlebte Händel seinen internationalen Durchbruch. Und die Venezianer hoben Händel mit „Viva il caro Sassone“-Rufen („Es lebe der liebe Sachse“) auf den Schild des Ruhms.

Exakt 300 Jahre später steht die Begeisterung der Italiener auf dem Prüfstand, wenn am Zürcher Opernhaus die „Agrippina“ erneut Premiere hat. Am Hebel der Regie sitzt jetzt der Bregenzer Festspielintendant David Pountney, von Berufs wegen ebenfalls ein Spezialist fürs Spektakuläre. Allerdings feiern die Zürcher die „Agrippina“ nicht mit „Viva il Sassone“, auch nicht mit „Viva il Inglese“-Rufen. Der Beifall ist höflich – nicht mehr, nicht weniger.

Das Stück selbst lohnt freilich die Beschäftigung. Das Libretto des Kardinals Vincenzo Grimani, das als Satire auf den päpstlichen Hof angelegt war, sprüht vor komödiantischem Wortwitz und Situationskomik. Ja, manche Szene ließe sich sehr gut auch in einer Mozart-Oper denken. Anders als in Händels späteren Londoner Opern sind die Rezitative der „Agrippina“ ausgedehnt, die Arien selbst hingegen oft kurz und konzentriert. Das bedeutet aber auch, dass das Drama als Ganzes im Vordergrund steht, weniger die Bravourarien für die Stars.

Was nicht heißt, dass Händel sich bei den Arien weniger Mühe gegeben hätte. Gerade die Figur der Aggripina bietet dankbare Ansatzpunkte für eine einschmeichelnde Musik, die zugleich die Falschheit ihrer Avancen preisgibt. Vesselina Kasarova füllt diese Partie eigenwillig, aber absolut passend. Man erlebt sie hier lebhafter als sonst schon, aber von einer herumwirbelnden Furie ist sie dennoch weit entfernt. Ihr Despotentum ist das der kühlen Arroganz, und das spielt sie souverän aus – erhobenen Kopfes, mit wenigen Gesten und natürlich mit ihrer verführerisch dunkel timbrierten Stimme, die ihre Adressaten umgarnen kann und eben doch stets eine gewisse Distanz wahrt.

Komödiantentum und Gesang verband insbesondere Eva Liebau als girliehafte Poppea mit großem Geschick. Zuzuschauen, wie sie ihre drei Verehrer zum großen Showdown auf einmal einbestellt und dann abserviert, das macht großen Spaß. Mächtig Eindruck hinterlässt auch Anna Bonitatibus, die den Nero als schluffigen Jugendlichen zu geben hat. Händel schrieb diese Partie für einen Soprankastraten. Entsprechend virtuos und anspruchsvoll ist sie. Aber Bonitatibus' Stimme hat den nötigen Biss, hat Kraft und Elastizität. Und wenn sie als Nero in Liebe zu Poppea vor Ungeduld rast („Coll' ardor del tuo bel core“), dann vergehen einem Hören und Sehen. Auch Marc Minkowski am Pult des Orchestra „La Scintilla“ der Oper Zürich macht der Musik Feuer unterm Hintern. Sein Zugang ist temperamentvoll und kontrastscharf. Und das Orchester folgt ihm stets punktgenau.

Enttäuschend war Marijana Miljanovic als Ottone, obwohl sie eigentlich eine ausgesprochene Händel-Expertin und etwa als Orlando noch in bester Erinnerung ist. Ihr Stimmtimbre ist sehr maskulin und von dem eines Countertenors kaum zu unterscheiden. Dennoch wollte ihre Stimme in der Partie des Ottone nicht recht tragen, wirkte zu fragil und flach.

So sind die Eindrücke, die man mit nach Hause nimmt, letzten Endes gemischt. Von Pountneys Inszenierung bleiben quietschbunte Farben in Erinnerung, die fliegenden Kostümwechsel der Agrippina (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca), bildgewaltige Räume auf der Drehbühne von Johan Engels – aber auch viele Fragen. Dass sich die Bühne um einen Lorbeerkranz in der Mitte dreht, leuchtet ein – schließlich dreht sich auch im Stück alles um die Macht der Krone. Und die geschlachteten Tiere mögen auf das römische Augurentum hinweisen.

Aber warum das faustische Laboratorium, warum ein grellgrünes Turnzimmer? Und haben die etlichen Statisten und Tänzer eine andere Funktion, als einen Aktivismus auf der Bühne zu entwickeln, der mit einigem Klamauk mehr verdeckt als enthüllt? Die Unmittelbarkeit, die die Bilder versprechen, löst Pountney letztlich nicht ein.