Die spinnen, die Römer!

Susanne Benda, Stuttgarter Nachrichten (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

Ein bisschen kommt man sich an diesem Sonntagabend im hübschen Zürcher Opernhaus vor wie bei einer Vorabend-Soap im Fernsehen: Zwischen den sieben wichtigen Personen auf der Bühne herrscht ein Gefühls- und Beziehungschaos, dass einem der Kopf brummt, und wer einmal abschaltet, versteht später gar nichts mehr.

Das ist aber nicht schlimm, denn David Pountney, Intendant der Bregenzer Festspiele, Regisseur und nebenbei ein Brite mit sehr englischem Humor, hat Händels "Agrippina" inszeniert. Er macht aus dem Intrigenspiel rund um die römische Kaiserin, die der Oper des 24-jährigen Komponisten den Namen gab, eine bunte Slapstick-Revue.

Auf der mehrteiligen Drehbühne, die Johan Engels entwarf, bedient Pountney mit Lust das Komödienschema: Tür auf, Tür zu; ein Faktotum verteilt wahlweise schwarze und rote Briefe, und die Göttin Juno, die im Schlussakt für das unvermittelt gute Ende zuständig ist, schlappt schon zuvor immer wieder mit mehr oder weniger wichtigen Requisiten durchs Bild. Ebenso überzeichnet wie die in knalligen Farben gehaltenen Bühnenräume sind die Figuren: Der junge Thronfolger rappt so vor sich hin, die beiden ewig verschmähten Liebhaber bekämpfen einander mit Säge und Beil zwischen Rinderhälften im Kühlraum, im zweiten Akt ist Kaiser Claudius glänzender Herrscher über eine sehr grüne Turnhalle mit Pferd, Barren, Boxsack und Sprossenwand; die schöne Poppea badet in viel Schaum und steckt schließlich in der wohl skurrilsten Szene des Stücks in ihrem riesenhaften Bett mit gleich drei Liebhabern und vier lebensgroßen Kuscheltieren unter einer Decke.

Für David Pountney ist die Oper, die Händel 1709 in Venedig komponierte, ein Stück voller Ironie: eine Art Big-Brother-Container, bei dessen merkwürdigen Bewohnern die mit Barockmusik beschallten Zuschauer Parallelen zum eigenen Haben und sein entdecken können - "Agrippina" als lustige Korruptions-Satire. Doch gerade weil der Regisseur auf die Musik hört, weil er also in Momenten tiefen Ernstes und tiefer Wahrhaftigkeit, die es in dieser Oper auch gibt, die Komödienmaschine still legt, zeigt er, dass auch eine andere Gewichtung möglich gewesen wäre. Im Wettstreit von Komödie und Tragödie, den "Agrippina" mit einer Vielfalt frischer Formen und Melodien austrägt, hätte durchaus auch die Tragödie siegen können. Dann wäre man vielleicht nicht so nett unterhalten, dafür aber angerührt worden. Dies fehlt ein bisschen an diesem lustigen Abend.

In der Musik immerhin findet eine Vertiefung der Inhalte statt. Mark Minkowski sorgt mit dem Zürcher Barockorchester La Scintilla dafür, und immer wieder lässt sein gelöster, informierter und, ja, auch witziger Umgang mit rhythmischen Mustern wie mit der Continuo-Begleitung den Blick schweifen. Minkowskis stärkste Mitkämpferin unter den Sängern ist Vesselina Kasarova in der Titelpartie: Ganz Intrigantin, fehlt Agrippinas Charakter die Mitte, und passenderweise hat die Sängerin auch bei der Vermittlung zwischen ihrer glänzenden Kopf- und ihrer farbreichen Bruststimme Probleme.

Enorme Tiefenschärfe beweist Lászlã Polgár als Claudius an ihrer Seite, und exzellent sind auch die Partien des Nerone (Anna Bonitatibus) und der Poppea (Eva Liebau) besetzt. Das maskuline Timbre von Marijana Mijanovic (Ottone), deren Stimme gelegentlich die letzte Kontrolle fehlt, kann man mögen, muss aber nicht. Für die Inszenierung gilt dasselbe. Ein bisschen viel Seife ist hier vielleicht dabei, aber das ist noch immer besser als ungeduscht.