Nachtseiten der Politik

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (12.05.2009)

Agrippina, 10.05.2009, Zürich

David Pountney und Marc Minkowski sorgen in Zürich für eine gelungene Neuinszenierung von Händels „Agrippina“.

Musical, Soap, Fernsehshow - ein bisschen von alledem mischt David Pountney in seiner ersten Händel-Inszenierung, um Händels ironischen Blick auf Macht und Politik zeitgemäß auf die Bühne zu bringen. Agrippina ist die Gattin des römischen Kaisers Claudio, der angeblich im stürmischen Meer ertrunken ist. Die machtbesessene Ehefrau versucht nun, ihr Söhnchen Nero mit Intrigen und Unterstützung willfähriger Höflinge an die Macht zu bringen, um ihre eigene Macht zu bewahren. Einen Strich durch die Rechnung macht ihr die unerwartete Rückkehr des Ehemanns, der vom getreuen Ottone gerettet worden ist. Dieser soll Kaiser werden, will aber gar nicht, sondern lieber Poppea heiraten, in die pikanterweise auch Claudio und Nero verliebt sind.

Im Mittelpunkt von David Pountneys Interesses steht naturgemäß Agrippina, eine kluge, mit allen Wassern gewaschene Vollblutpolitikerin, die mal schmeichlerisch Liebe heuchelt, mal von ihrer Position als Kaisergattin Gebrauch macht, um ihr Ränke zu schmieden. Johan Engels Bilder auf der Drehbühne und Marie-Jeanne Leccas Kostüme verorten die Handlungsstränge in einer TV-Realität. Während die beiden feigen Höflinge Pallante und Narciso, die sich je nach Situation Agrippina oder Claudio ergeben zeigen, mit ihren Allongeperücken und ihren Röcken an barocke Zeitgenossen erinnern, stählen Turner und Turnerinnen ihre Körper in der poppig grün-roten Turnhalle an Barren, Pferd, Sprossenwand und mit Fit-Balls.

Kardinal Vincenzo Grimanis ironisches Libretto und die an vielen Stellen genauso doppelbödige Musik Händels verlangen geradezu nach Aktion auf der Bühne. Das Regieteam bietet genug davon - vielleicht im ersten Teil etwas zuviel, denn so gut wie jede Arie wird bebildert. Wenn Agrippina vom Aufruhr in ihrer Seele singt, erwachen sogar Leichname. Was sich Pountney überlegt hat, hat Hand und Fuß und ist urkomisch. An Witzigkeit kaum zu übertreffen ist der Moment, in dem sich Ottone, Nerone und Claudio in Poppeas Schlafzimmer unter einer Riesenbettdecke mit Himmelssujet und zwischen überdimensionierten Plüschtieren voreinander verstecken und zum Teil gleichwohl doch entdecken.

Das glückliche Ende - Claudio vergibt allen, ernennt Nero zum Kaiser und gibt Ottone und Poppea seinen Segen - segnet bei Pountney keine machtlose Juno als Dea ex machina mehr, sondern eine Wahrsagerin, die im Laufe des Abends immer mal das Schicksal durch einen Blick in ihre Glaskugel oder in die Karten voraussagt. An das Händelsche Lieto fine schliesst Pountney noch eine eigene Botschaft an: Die Macht liegt bei den Frauen.

Höchsterfreulich ist auch, was der Abend dem Ohr bietet. Unter der Leitung von Marc Minkowski entfaltet das Barockorchester "La Scintilla" der Oper Zürich einen mitreißenden, präzisen und luftigen Orchesterklang. Minkowski lässt immer wieder die Soloinstrumente plastisch hervortreten, sorgt für ein Funkeln und Blitzen im Orchestergraben, weiß aber auch vor allem in Ottones elegischen Arien innezuhalten.

Vesselina Kasarova überzeugt als Powerfrau Agrippina, für die andere Menschen nur Werkzeuge zum Erreichen der eigenen Wünsche darstellen, mit geschmeidigem Tonansatz, voll-strömenden Phrasen und brillanten Koloraturen. Die Kasarova bildet in dieser Produktion wahrlich eine Klasse für sich. Als zunächst Modepüppchen im schäumenden Vollbad, später gereifte, ja durchaus gewiefte Gegenspielerin kann Eva Liebau die Poppea als Erfolg in ihrer Karriere verbuchen: stimmschön, beseelt und geschmeidig in den Koloraturen. Anna Bonitatibus gibt den schlaksigen Nerone mit grazil geführtem Mezzo, László Polgár den plumpen Claudio mit viril-sonorem Bass. Die einzig seriös gezeichnete Rolle, Ottone, hat Marijana Mijanovic übernommen, die den leidenden Liebhaber mit noblem Schöngesang ausstattet und ihre gesanglichen Stärken trotz eines gewissen Mangels an Tragfähigkeit und Ausdrucksnuancen zur Geltung bringen kann.