Bezaubernd klingt Vivaldis Musik

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (31.05.2009)

Orlando furioso, 29.05.2009, Basel

Ein vor allem musikalisch begeisternder Saisonabschluss am Theater Basel: Vivaldis «Orlando furioso»

Regisseur Barrie Kosky verlegt Vivaldis Barockoper «Orlando furioso» in die Welt des Pop und der Mode. Eigentliche Stars des Abends am Theater Basel sind aber Dirigent Andrea Marcon, die Solisten und das Barockorchester «la Cetra».

Vom ersten Ton an packt Antonio Vivaldis Musik in der Basler Aufführung seiner Oper «Orlando furioso». Wie Dirigent Andrea Marcon, ein Spezialist für venezianischen Barock, mit den Musikerinnen und Musikern des «La Cetra Barockorchester Basel» die melodischen Linien schon der einleitenden Sinfonia gestaltet, sie ineinander fliessen lässt, versetzt einen ins Staunen. Da ist Spannung, Leichtigkeit und vorwärtstreibende Kraft in der Musik – und eine Sinnlichkeit, die verzaubert. So gespielt und so hervorragend gesungen wie am Theater Basel ist Vivaldis «Orlando furioso», diese Oper über Liebeswirren und -wahn mit ihren halsbrecherischen Koloratur-Arien, ein Schmuckstück. Das 1727 in Venedig uraufgeführte dramma per musica, von dem Andrea Marcon eine eigene Fassung erstellt hat, erlebt hier seine Schweizer Erstaufführung.

Orlando, Ritter Roland, ist in wahnhafte Liebe zu Angelica entbrannt, sie aber liebt Medoro. Ein Orakel verspricht Orlando Glück in der Liebe, wenn er die magische Kraft der die Männer betörenden Zauberin Alcina zerstört. Vivaldis Oper führt alle Figuren auf Alcinas Insel zusammen. Hinzu kommt Bradamante. Sie will ihren Ruggiero zurückholen. Alcina hat ihn zu sich gelockt und ihn mit Zauber in sie verliebt gemacht.

Barrie Kosky, der australische Regisseur, der 2012 Intendant der Komischen Oper Berlin wird, interessiert sich aber nicht für den Alcina-Mythos. Er verlegt die Geschichte in unsere Zeit, in eine Pop- oder Modeszene. Spielort ist hier eine als offener Raum gestaltete Villa in italienischem Stil (Bühne und Kostüme: Esther Bialas). So spinnt er den Faden vom Italien der Renaissance und des Barocks zur heutigen Zeit. Hier hält Alcina als «Fürstin» Hof – mit ihren Lustknaben und dem immer neu betrogenen Liebhaber Astolfo. Hier treffen sich die in ihren Gefühlen verwirrten und an ihnen immer neu zweifelnden Figuren.

Nur gibt es in dieser Pop- und Modewelt keine echte Liebe mehr, das erzählt uns Kosky. Es geht allein um die Befriedigung von Trieben und Wünschen, um die eigene innere Leere zu überdecken. Orlando ist nicht Held, er ist ein sich in seiner Welt einschliessender, aggressiver Rapper. Bradamante und Ruggiero sind Punks, Medoro ein schriller New-Wave-Typ, Angelica das schicke Girl aus dem Trainingscamp. Das Felsen-Gefängnis, in das die raffiniert mit Orlandos Verliebtheit spielende Angelica ihn einsperrt, symbolisiert Orlandos emotionales Gefangensein. Bei Kosky führt der Weg dorthin durchs Klo, wo die Gesellschaft ihre Emotionen entsorgt hat, das Gefängnis ist nichts als ein Schuhladen, ein Konsumtempel.

Kosky inszeniert mit leichter Hand, mit Witz und frechen Absurditäten. Die Personenbeziehungen sind genau gezeichnet. Er schafft manch betörend schönes Bild. Nur trampelt er in die Falle, die er sich selbst stellt: Er will die Oberfläche zeigen und bleibt daran haften. Der Inszenierung fehlt die Magie. Diese stellt sich nur in den wenigen, tiefer dringenden Bildern ein. So im zweiten Akt, wenn Alcina ihre eigene Leere erkennt, weil sie ohne rechte Liebe ist.

Nach dem Ausbruch von Orlandos Wahnsinn werden alle Figuren zu Klonen Alcinas. Sie verlieren ihre Identität: Jeder und jede ist austauschbar. Ein überraschendes Bild, nur die Dimension von Orlandos Wahnsinn erfasst Kosky damit nicht. Stark dafür der Schluss: Wenn Orlando Alcinas Reich zerstört, die Illusion von ewiger Jugend und Sexus zerbricht, bleiben nur emotionale Leere und körperlicher Zerfall.

Musikalisch hält die Spannung bis zum letzten Ton. Dafür sorgen Andrea Marcon, das grandios und farbenreich spielende Barockorchester «La Cetra» und die mit Spielfreude agierenden und hervorragend singenden Solisten. Allen voran die Contraaltistin Delphine Galou als Orlando. Sie brilliert mit ihrer Virtuosität, ebenso mit der inhaltlich-emotionalen Gestaltung. In nichts steht ihr die Mezzosopranistin Franziska Gottwald als Alcina nach. Auch ihre Koloraturen perlen und glitzern, sie zeichnet Alcina in allen Farben. Wunderbar Countertenor David DQ Lee als Ruggiero. Herzergreifend singt er die von der Traversflöte begleitete Liebesarie. Auch die anderen Stimmen begeistern: Maya Boog als Angelica, Iestyn Morris als Medoro, Andrew Murphy als Astolfo und Stephanie Hampl als Bradamante. Musikalisch hat der Abend Weltklasse: ein schöner Saisonabschluss.