Für einmal geht der Tod stempeln

Urs Mattenberger, Zentralschweiz am Sonntag (31.05.2009)

Orfeo ed Euridice, 29.05.2009, Luzern

Der Orpheus-Mythos als Migrationsdrama? In Glucks Oper übertrumpfen am Luzerner Theater suggestive Bilder die Musik.

Der Tod kennt kein Pardon. An der Premiere vom Freitag selbst bei der Einreise nicht: Als Orfeo den Weg in die Unterwelt antritt, um seine verstorbene Frau Euridice ins Leben zurückzuholen, versperren ihm nicht antike Furien den Weg: Bürolisten im mausgrauen Einheitslook (viel beschäftigt: der stimmkräftige Theaterchor) zwängen sich hinter ihre Tische und erledigen verbissen und stempelknallend ihren Formularkram.

Alles Schutt und Asche

In dieser Inszenierung von Theaterdirektor Dominique Mentha wirkt dies als Parodie auf ein Migrationsamt in Christoph W. Glucks Oper von 1762 zwar überraschend. Aber es wirkt ­ und ist damit exemplarisch für diesen Abend mit starken Bildern. Dazu gehört allein schon die Bühne von Ingrid Erb, die den Übergang zwischen den Welten mit einem perspektivisch verjüngten Raumschacht zum Ausdruck bringt. Suggestiv auch das Bild für die Unterwelt, wo Licht- und Schattenspiele mit dem Blätterfall verkohlter Papiere alles in Schutt und Asche legen. Und wenn Orfeo Euridice unter den Toten sucht, zeigt der Chor unter einem riesigen Leichentuch gespenstische Silhouetten eines Gräberfelds.

Die Art, wie hier der symbolstarke Stoff in zeitlose Bilder verpackt wird, ist damit das Ereignis der letzten Opernpremiere dieser Spielzeit. Die darstellerische Umsetzung bleibt konventioneller. Am nächsten an der Bildsprache der Bühne ist die Figur des Amor: eine Art Spielleiter, den Sumi Kittelberger zur koketten Reisemanagerin hochpoliert.

Gefühlsextreme

Die Hauptrollen sind zwar mit schönen Stimmen besetzt, gewinnen aber vergleichbar weniger eigenständiges Profil: Caroline Vitales ausgeglichener Mezzosopran balanciert als Orfeo (ursprünglich eine Kastratenrolle) massvoll Entschlossenheit und Verzweiflung aus, Simone Stock lässt mit geschmeidigem, warm leuchtendem Sopran Euridice mehr berückend leiden als zornig aufbegehren.

Das betont die menschliche Seite der Geschichte, die mit dem Verbot an Orfeo, sich nach Euridice umzudrehen, Liebe und Vertrauen auf die Probe stellt. Aber die Gefühlsextreme, die Glucks Musik revolutionär machte und heute noch verblüfft, erreicht das nicht. Die Barockformation La Gioconda lässt diese zwar kontrastscharf aufeinanderprallen, bleibt aber deutlich hinter der Souveränität zurück, die für das Luzerner Sinfonieorchester inzwischen selbstverständlich sein müsste. Der begeisterte Schlussapplaus sicherte dem Abend so eine Schlusspointe, die die Musiker selbst nochmals nutzten für ein starkes Bild.