Bergidyll aus dem Datenhandschuh

Jörn Florian Fuchs, Der Standard (05.07.2006)

Tiefland, 01.07.2006, Zürich

Matthias Hartmann, ab 2009 Burgtheaterdirektor, inszeniert - mit Franz Welser-Möst am Pult - Eugen d'Alberts "Tiefland". Eine intelligente Lesart, die vom Publikum aber nicht gewürdigt wurde.

Eugen d'Albert schrieb zwar mehr als zwanzig Opern, fabrizierte aber nur einen einzigen Hit: Tiefland. Die Story um den jungen Hirten Pedro, der in eine Schein-Ehe mit Marta gedrängt werden soll, damit der reiche Mühlenbesitzer Sebastiano ein Mädel aus gutem Haus heiraten kann, ohne auf seine Geliebte - Marta - verzichten zu müssen, war ein Renner, allerdings in den 20er- bis 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Das damalige Publikum war begeistert von großen Emotionen, wilden Kämpfen und einer Flucht in die Berge. Der distanzierte Blick von heute fällt ein anderes Urteil: inhaltlich ist das alles veritabler Kitsch, was weniger am Stoff selbst, sondern vor allem an seiner textlichen Ausgestaltung liegt. Recht hartnäckig hält sich zudem das (Vor-)Urteil, Tieflandsei eine, wenn nicht die einzige, veristische Oper deutscher Provenienz.

In der Tat finden sich zwar veristische Anklänge, etwa an Mascagni, aber sie erreichen dieses Niveau wirklich nicht annähernd. Zu schwerfällig fließen die großen symphonischen Bögen dahin, zu nichts sagend illustrativ sind viele der verwendeten Leitmotive, bei denen man außerdem deutlich einen schlecht kopierten Wagner heraushört. Letztlich hat die Geschichte auch ziemliche Längen.

Was nun interessiert einen der klügsten Köpfe des gegenwärtigen (Regie-)Theaters an so einem Werk? Matthias Hartmann begeistert sich nicht für den Kitschfaktor der Geschichte und macht aus Tieflanderfreulicherweise kein "Triefland". Stattdessen leistet er einen veritablen Beitrag zur Hirnforschungsdebatte, in deren Zentrum zwei Fragen stehen: ob wir uns unsere Welt nur einbilden und ob wir einen freien Willen besitzen.

Auf der Zürcher Opernbühne stehen anfangs vier Männer in großen, gut verkabelten Glaskästen, darüber hängen Monitore und zeigen weißes Rauschen. Plötzlich naht eine Riege Weißkittel, einer schlüpft in einen Datenhandschuh und zaubert damit farbig-bewegte Bilder auf die Monitore. Besonders schön ist die Projektion eines Bergpanoramas, das der dazugehörige junge Mann sichtlich genießt. Es ist Pedro und der Abstieg ins tiefe Land seines Unter-, oder vielleicht auch Überbewusstseins kann beginnen.

Schwindel, Gefühle

In Pedros Schein-Welt ist die Mühle ein großer, mit dunklem Holz verkleideter Raum, der leicht surreale Züge trägt: Ein Bürotisch, eine klapprige Schreibmaschine, ein Fließband, auf dem eingetütetes Brot vorüberfährt. Hier spielt sich nun das Liebesdrama um Gewalt, Schwindeleien und eskapistische Hoffungen ab.

Hartmann nimmt vor allem im ersten Aufzug die Textvorlage sehr ernst und zeigt die Figuren so, wie sie sind: mehr Abziehbildchen denn echte Charaktere. Im Verlauf des Abends jedoch löst er sich vom leicht spöttischen Umgang mit d'Alberts Personal und inszeniert ein psychologisches Drama um Macht und Machtüberwindung mittels Liebe.

Allerdings kann auch der eindrucksvolle Gesang von Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer nichts daran ändern, dass am Schluss wieder die Labor-Glaskästen herunterkommen und das Paar gnadenlos trennen. Immerhin, auf einem Monitor sieht man die beiden in einer innigen Kussszene vereint, im Hintergrund leuchtet das Bergpanorama.

Unweigerlich assoziiert man an dieser Stelle den Obersalzberg und erinnert sich, dass Tieflandzu den erklärten Lieblingsstücken Hitlers gehörte und von Leni Riefenstahl verfilmt wurde.

Das Zürcher Festspiel-Publikum war von Hartmanns intelligenter Inszenierung indes hörbar unbegeistert und buhte sich die Seele aus dem Leib. Ungebrochenen Jubel bekam die formidable Sängerbesetzung.

Neben dem unschuldig liebenden Paar ragten Matthias Goernes kräftig herumwütender Sebastiano und der samtweich-dahinschmelzende Sopran von Eva Liebau (als tratschendes Hausmädchen mit deutlichen Interessen an Pedro) heraus. Franz Welser-Möst befreite das "Tiefland"von allem Kitsch und jagte das Zürcher Opernorchester straff durch die Partitur, ließ den Streichern aber zuweilen auch ausgedehnte Atemstrecken.