Klangfülle im Stil eines Postkarten-Idylls

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (08.06.2009)

Cavalleria Rusticana, 06.06.2009, Zürich

Das Zürcher Opernhaus hat am Samstag die so genannten «Verismo-Zwillinge» - «Cavalleria rusticana» von Mascagni und «Pagliacci» von Leoncavallo - auf die Bühne gebracht. Star-tenor José Cura drückte beiden Werken seinen Stempel auf.

Die letzte Viertelstunde von «Pagliacci» war eine veritable Demonstration des José Cura. Mit seiner Intensität und Präsenz riss der argentinische Tenor am Samstag im Zürcher Opernhaus alle mit: Kollegen, Chor, Orchester und natürlich das Publikum. Wie er den eifersüchtigen Canio, den Chef der etwas heruntergekommenen Komödiantentruppe, in seinem gekränkten Mannesstolz, in seiner Verzweiflung und tödlichen Raserei darstellte, war ein Theaterereignis. Canio, der seine Nedda zu verlieren droht und doch Komödie spielen soll, eine Komödie, die seine persönliche Tragödie wird: Er ist der Spassmacher Pagliaccio, hinter dessen Rücken sich der fesche Arlecchino seine Colombina angelt. Am Ende liegen zwei Tote auf der Bühne vor den Augen eines geschockten Publikums.

Stimmliche Sonnenseiten gezeigt

«Vesti la giuppa - ridi Pagliaccio» ist Leoncavallos grösste Arie und ein Markstein des Tenor-Repertoires, den José Cura mit aller Dramatik auflud, die sich denken lässt. Aber auch sonst, auch als Turiddu in Mascagnis «Cavalleria», zeigte er die Sonnenseiten seiner grandiosen Stimme voller Kraft, Substanz, Kern und auch Schmelz, verbunden mit dem vielschichtigen und intelligenten Einsatz der sängerischen Mittel: Nicht bloss laut und extrovertiert, sondern ausdifferenziert im Dienst der beiden verschiedenen Rollen.

Damit hat Cura alle zu Statisten degradiert - inklusive Dirigent Stefano Ranzani, dem er auch schon in der weit gemässigteren und konventioneller inszenierten «Cavalleria» immer mal wieder das Heft aus der Hand genommen hatte. Nicht zum Vorteil der Aufführung, obwohl er sich auf keine aufgesetzten Mätzchen kaprizierte, sondern durchaus musikalisch sinnvoll das Tempo anzog und die Gangart variierte. Aber das Orchester und die Chöre, die ohnehin schon etliche Schwierigkeiten mit der Koordination untereinander zeigten, wurden dadurch noch zusätzlich irritiert. Und Ranzani machte dabei nicht immer beste Figur. Meist liess er jedoch die Musik einfach fliessen, liess die einkomponierte Verismo-Dramatik zu ihrem Recht kommen, ohne zusätzlich einzuheizen.

Pittoreskes à la siciliana

Verismo nennt man die Darstellung der ungeschminkten aktuellen, alltäglichen Realität auf der Opernbühne, eine italienische Bewegung des Naturalismus, die mit diesen beiden Opern begann, mit Giordano, Cilea oder Catalani weitere Vertreter hatte und schliesslich in Puccinis Opern mündete. Vordergründigen Verismo nahm sich auch Grischa Asagaroff in seiner Inszenierung zum Vorbild. Auf die abstrahierende Bühne von Luigi Perego stellte er ein pittoreskes Postkarten-Sizilien in den Kostümen und Figuren, das es in dieser properen Romantik sicher nicht gegeben hat. Ein Idyll der ländlichen Bevölkerung inklusive Soldaten und Dorftrottel, das in seiner szenischen Hilflosigkeit dann doch wie eine Parodie wirkte. Besser funktionierte die Kunstwelt der Komödianten mit ihren farbigen Gestalten, die in ihrem aufgesetzten Theater eben ruhig theatralisch wirken dürfen.

Bermúdez hat Paroli geboten

Neben Cura hatten die anderen Sänger einen schweren Stand. Gabriel Bermúdez jedoch liess sich als «Pagliacci»-Silvio nicht in den Schatten stellen. Paoletta Marrocu sang die weibliche Hauptrolle nur in «Cavalleria», dort mit einer ähnlichen sängerischen und darstellerischen Präsenz wie Cura, aber von der Regie in der Personenführung immer wieder etwas allein gelassen und mit einigen wenig betörenden Schärfen in der Stimme. Nahe liegend, dass sie die Nedda in «Paglicci» mit den dafür nötigen schmeichelnden Tönen nicht auch übernahm, sondern diese Aufgabe der für Zürich neuen, in der Opernwelt aber renommierten Fiorenza Cedolins überliess. Die Italienerin verschreckte in ihren ersten Takten allerdings auch mit einigen Schärfen und flackerndem Vibrato, steigerte sich im Lauf der Partie aber deutlich. Ein sicherer Wert war Bariton Lucio Gallo als Tonio, während Cheyne Davidson den Alfio eher eindimensional sang.