Die menschliche Natur und die Notwendigkeit des Herzens

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (30.06.2009)

Così fan tutte, 28.06.2009, Zürich

«Così fan tutte» zum Abschluss des Mozart/Da-Ponte-Zyklus im Opernhaus

Wie hübsch, dieses erste Bild: ein kleines naturkundliches Kabinett, aufgebaut auf einem weissen Regal. Da sieht man Schmetterlinge, ausgestopfte Vögel, Fische und anderes Getier, aber auch Flaschen, Bücher, einen Globus, Metronome und, zentral placiert, einen männlichen und einen weiblichen Unterleibs-Torso. Hier also schliesst der Philosoph Don Alfonso mit den zwei jungen Verliebten Don Ferrando und Don Guglielmo seine gefährliche Wette über die Treue von deren Bräuten ab. Wenn sich die schwarze Umrandung dieses Kabinetts öffnet und den Blick freigibt auf den Raum, in dem die eigentliche Handlung spielt, erkennt man bald: Die Objekte auf den Regalen sind mehr als Dekoration, sie stehen für das Ganze.

Ästhetik

Sven-Eric Bechtolf (Regie) und Rolf Glittenberg (Bühne) inszenieren Wolfgang Amadeus Mozarts «Così fan tutte» dezidiert aus dem Geist der Aufklärung, welche die Welt durch rationale Erkenntnis der Natur zu ergründen suchte. Und auf diese Epoche, das Rokoko des späten 18. Jahrhunderts, nehmen auch Marianne Glittenbergs wundervolle, aus erlesenen Stoffen geschneiderte Kostüme Bezug. Die Figuren, welche sie tragen, bewegen sich – manchmal tänzerisch, stets voller Elan, mit beredter Körpersprache – auf einer Bühne, deren weisse Wände ein Dreieck bilden. Den Fluchtpunkt bezeichnet eine riesige Zypresse, Symbol der Natur und zugleich Zentrum der streng symmetrischen Spielanlage. Und dahinter lauter Blau, in delikatesten Tönungen.

Doch die Ästhetik dieses Bildes ist nicht Selbstzweck, sie steht im Dienst der Handlung, stellt die Figuren in ihrem Zusammenspiel, ihren Gefühlen und Gefährdungen aus, liebevoll, mit Witz und übersprudelnder Phantasie, durchaus klarsichtig, doch ohne den didaktischen Zug, welcher der letzten Zürcher «Così»-Inszenierung mit ihrer Hörsaal-Architektur anhaftete. Dabei hat in Bechtolfs Regie alles seine Folgerichtigkeit: Die Angst, welche die zwei jungen Männer befällt, als das Experiment beginnt und sie sich von den Bräuten verabschieden müssen, der Dégoût der Frauen, als die zwei in türkischer Verkleidung Zurückgekehrten allzu draufgängerisch zur Sache kommen wollen, der Wein, der die Resistenz der Schwestern ins Wanken bringt, die Zerrissenheit der Männer zwischen Verlustangst und Eroberungslust, als sie sich am Ziel sehen – und zuletzt die Schlusspointe: Bechtolf führt zwar die ursprünglichen zwei Paare zusammen, Fiordiligi und Guglielmo, Dorabella und Ferrando, doch glücklich scheinen sie nicht, und Fiordiligi, die Leidenschaftlichste von allen, greift schliesslich zum Glas mit dem vom fingierten Suizidversuch der Liebhaber übrig gebliebenen Arsen und fällt reglos hin – ob das Gift harmlos war und der Mesmersche Magnetismus auch sie retten wird, erscheint sehr zweifelhaft.

Ensemblegeist

Nein, in dieser «scuola degli amanti» steht nicht die Vernunft auf dem Lehrplan, sondern die «necessità del core», die Notwendigkeit des Herzens, womit Alfonso die Untreue der Frauen rechtfertigt. Und dass es so ist, verdankt sich zur Hauptsache einem Ensemble, das nicht nur in seinem Spiel zusammengewachsen ist, sondern die Rollen auch aus ein und demselben musikalischen Geist gestaltet, aus dem Piano heraus, mit vielen Zwischentönen und dem Potenzial zu dramatischer Expressivität. Stilbildend ist Franz Welser-Mösts Dirigat: entspannt und locker, dabei hellwach, ganz Ohr für die individuellen Sängerstimmen, aber auch für die Klangpalette des Orchesters, das sich bei dieser letzten Premiere nach einer langen, reichbefrachteten Saison frisch und präsent zeigte, als habe die Spielzeit gerade erst begonnen.

Höhepunkt

Und nicht weniger gilt das für den Chor und die Solisten. Wie Malin Hartelius zunehmend in die halsbrecherische Partie der Fiordiligi hineinwächst, wie sie souveräne Technik und klangliche Fülle zur Deckung bringt, das ist spannend und bewegend zugleich und kontrastiert wirkungsvoll mit dem direkter ansprechenden, leuchtkräftigen, doch manchmal durch ein starkes Vibrato beeinträchtigten Mezzosopran der Dorabella von Anna Bonitatibus. Die Dritte im Frauenbund ist Martina Jankovà, die ihrer quirligen Kammerzofe Despina einen wunderbar ausgeruhten, warm strahlenden Sopran leiht. Dazu die zwei Liebhaber, Javier Camarena mit seinem beweglichen, lyrisch timbrierten, doch expansionsfähigen Tenor als Ferrando und Ruben Drole mit seinem substanzreichen, geschmeidigen Bariton als Guglielmo, der eine wie der andere ein Spieltalent der Extraklasse. Dass Oliver Widmer als Don Alfonso daneben auch stimmlich eher spröde wirkt, fällt nicht aus dem Rahmen, denn er ist in dieser Inszenierung nur Arrangeur und Beobachter des Liebes-Experiments. – Nach «Don Giovanni» und «Le nozze di Figaro» ist dieser letzte Teil der Mozart/Da-Ponte-Trilogie am Opernhaus zugleich auch deren Höhepunkt.