Ein Seelen-Scherbenhaufen

Oliver Schneider, Wiener Zeitung (30.06.2009)

Così fan tutte, 28.06.2009, Zürich

Im Festspielkalender ist Mozarts "Così fan tutte" heuer gleich dreimal vertreten: in Salzburg, beim Attersee Klassik-Festival und bei den Zürcher Festspielen. Franz Welser-Möst legte die Messlatte musikalisch am vergangenen Sonntag im Opernhaus Zürich zum Start hoch.

Wie ein Orkan wirbelt bereits die Ouvertüre das Publikum auf und lässt das bevorstehende Unheil vorausahnen. Welser-Möst entfaltet im Folgenden das emotionale Auf und Ab der Seelen im natürlichen, unaufhaltsamen Klangfluss und mit ausgewogenen Tempi. Ganz im fatalistischen Sinn, dass das von Don Alfonso initiierte Spiel der menschlichen Seele entspricht, die sich der aufklärerischen Ratio verweigert.

Die Musik und Text innewohnende Doppelbödigkeit unterstreicht Welser-Möst, indem er die Musiker zu konturiertem und durchsichtigem Spiel animiert, hier und da Erkenntnisse der historisch-informierten Aufführungspraxis einfließen lässt und prägnante Akzente setzt. Trotz einiger Unstimmigkeiten zu Beginn behauptet sich das Opernhaus-Orchester unter der Leitung seines ehemaligen Chefs als von ihm geformter Klangkörper hoher Güte.

Daneben punktet das von Alexander Pereira behutsam aufgebaute Mozartensemble: Javier Camarena verleiht dem Ferrando südländisches Temperament und gefällt mit dem lyrischen Schmelz seines schmiegsamen, noch etwas unausgereiften Tenors. Ruben Drole steht ihm als charismatisch auftrumpfender Guglielmo nicht nach. Als rasch für neue Liebesabenteuer offene Dorabella reüssiert Anna Bonitatibus mit makelloser, leichter Stimmführung. Malin Hartelius ist mittlerweile zur Fiordilligi gereift, für deren emotional etwas größere Standhaftigkeit sie mit ihrem abgerundeten, obertonreichen Sopran eine Idealbesetzung ist.

Bechtolf misstraut dem Happy End

Don Alfonso, der Drahtzieher der Verkleidungskomödie mit ernstem Ausgang ist bei Oliver Widmer trotz seines gewöhnungsbedürftig hellen Baritons in besten Händen, und Martina Jankovà versprüht schließlich als mit allen Wassern gewaschene Despina Komödiantentum pur.

Sven-Eric Bechtolf doppelt zum Seelenexperiment nicht mit einem Regieexperiment nach. Für ihn und seine Ausstatter (Bühnenbild: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg) muss das Werk in seiner Entstehungszeit 1790 angesiedelt sein, waren doch ähnliche Tests in der Endphase des Ancien régimes gesellschaftsfähig geworden. Die im Grunde konventionelle Inszenierung in den hohen weißen Sälen mit Blick auf einen strahlend blauen Himmel als Kontrast zum inneren Sturm der Protagonisten profitiert in erster Linie von der Agilität der Sänger. Während Bechtolf meint, den ersten Akt noch durch eine Reihe Gags und ein Zuviel an billiger Erotik anreichern zu müssen, flaut der Aktionismus ab, je mehr Alfonso und Despina die Zügel verlieren.

Insgesamt ein handwerklich solider Abend, der der Musik über weite Strecken den Vortritt lässt. Nur dem lieto Fine misstraut Bechtolf, wenn Fiordilligi zu den Schlussversen zu Gift greift und tot zusammenbricht. Ein Zurück zur alten Ordnung ist unmöglich.