Zwischen Farce und Psychodrama

Herbert Büttiker, Der Landbote (30.09.2009)

Così fan tutte, 28.06.2009, Zürich

Ihre Trilogie der Da-Ponte-Opern Mozarts krönen Franz Welser-Möst und das Inszenierungsteam um Sven-Eric Bechtolf mit einer «Così fan tutte», in der gründliche Lesart und Klamauk wunderbar Hand in Hand gehen.

«Così fan tutte» ist in verschiedener Hinsicht die leichtfertigste unter den grossen Mozart-Opern. Statt der Zusammenarbeit mit dem Dichter hatte es Mozart mit einem bereits fertigen Libretto zu tun, und statt mit der Fülle und Tiefenperspektive der Stoffe des «Figaro» und des «Don Giovanni» «nur» mit dem Konstrukt einer didaktischen Handlung. Schliesslich gab es statt der Eindeutigkeit «bestrafter Wüstlinge» jetzt ein ironisch zwiespältiges, ja scheinbar schäbiges Fazit.

Die Einsicht, dass die als leichtfertig geschmähte Oper im «Giocoso» des aberwitzigen Verwirrspiels zur tiefsten Seelenforschung ausholt, hat sich inzwischen aber durchgesetzt. Umso aufregender bleibt jede neue Annäherung an das Stück, und für die neue Produktion des Opernhauses, die einen weiten Spagat zwischen Farce und Psychodrama wagt, gilt es ganz besonders. Ob die blaue Flüssigkeit nun Schabernack oder wirkliches Gift war, bleibt am Ende offen, wenn Fiordiligi aus Versehen davon trinkt, erschrickt und zu Boden sinkt.

Dass die sensibelste Figur das Experiment nicht schadlos übersteht, verwundert nicht. Fiordiligi, die felsenfest für Treue einsteht und sich doch in den Schwindler wirklich verliebt, macht die schmerz- hafteste Erfahrung und ist gerade deswegen eine der grossen Bannerträgerinnen der «wahren» Liebe in Mozarts Schaffen. Malin Hartelius hat sich diese Figur beglückend angeeignet, mit dramatischer Substanz, die sie ungefährdet durch die flammende «Felsen-Arie» trägt, aber noch mehr lyrisch auslotender Musikalität für das grosso Rondo im zweiten Akt, dessen Adagio-Sensibilität im Einklang mit Franz-Welser-Mösts unendlich subtiler Begleitung zu einem der unvergesslichen Momente der Aufführung wird.

Zur Dichte des Augenblicks trägt auch viel bei, was Sven-Eric Bechtolfs Regie an Figurenzeichnung erarbeitet: Wie steil das Pathos von Fiordiligis «Come scoglio immoto resta» ist, zeigt sich darin, dass sich Dorabella darob nervt – Anna Bonitatibus gibt das vielschichtige Porträt der leichtblütigeren Schwester Fiordiligis. Dass Despina die beiden Damen nicht nur mit ihren lockeren Ansichten, sondern auch mit Alkohol auf die schiefe Bahn drängt, ist durchaus naheliegend und auch ein Äquivalent zu Mozarts betörender Bläserserenade, die dann folgt. Um reichlich Wein nachzuschenken hat die Kammerzofe während ihrer langen Arie Zeit genug, und wie Martina Janková dies zielstrebig tut und dazu locker ihr Gesangspensum absolviert, ist ein Kabinettstück für sich – aber längst nicht das einzige, das diese Komödiantin in Hochform bietet. Man merkt dabei: Das Stück hat nur Hauptfiguren, zentral ist ja auch die Rolle des trockenen und letztlich undurchsichtigen Zynikers Alfonso, dem Oliver Widmer starkes Profil verleiht.

Magische Momente

Wenn Regisseure Arien oft mit blossem Aktivismus übertünchen, so gelingt es Bechtolf, in Nebenhandlungen Hintergründe zu öffnen – so wenn er Fiordiligi Ferrandos «Un’ aura amorosa» unbeobachtet mithören lässt. Wir sehen, wie sie vom Liebesbekenntnis, das ja Dorabella gilt, getroffen wird – ein magischer Moment auch für Javier Camarena, der nicht nur mit dem schwebenden Piano dieser Arie den Ritterschlag zum Mozart-Tenor verdient.

Ja, die Männer! Ferrandos Andante cantabile, von sordinierten Streichern ätherisch begleitet, ist der einzige ganz unverdächtige Liebesausdruck aus der Männerbastion. Im Verführungsspiel bleibt auch beim innigsten Werben das Schielen auf Wette und Sieg nicht aus – gleichgültig, wie paradox das ist, was sie als Sieg erstreben. Den abstrusen «sportlichen» Kontext ihrer Gefühlswelt akzentuieren hemmungslos Triumphgebärden und Überlegenheitsposen. Dass sie auch nach dem Liebesduett nicht ausbleiben, in dem sich Fiordiligi und Ferrando als das eigentlich zusammengehörende Paar erkennen, ist freilich diskutabel. Aber die ganzen Gefälle vom Imponiergehabe hinunter zum Selbstmitleid ist die grosse Quelle der Komik, die Ruben Drole als Guglielmo am heftigsten sprudeln lässt, darstellerisch wie stimmlich äusserst vergnüglich.

Was da überdreht scheint, mag es in dieser Inszenierung wohl leiden. Denn Rolf Glitterbergs atmosphärisch ruhige Ausstattung und die aparten Kostüme von Marianne Glitterberg geben dem Spiel den ästhetisch klaren Rahmen. Und da ist Mozarts Musik, die das alles klärt und verklärt: Bei allem Klamauk herrscht die Bürgschaft bravouröser Musikalität des Solistenensembles und eines Orchesters, das mit dramatischem Furor nicht spart, forsche Tempi ohne Druck meistert und die lyrischen Linien mit subtilen Bläsereinsätzen kantabel ausformuliert. Auch Franz Welser-Möst würzt jetzt den Mozart-Klang mit den alten Hörnern und Trompeten, aber vermittelt doch alle Kontraste in einem abgerundeten Klangbild. Gegenwärtig an diesem Abend sind alle Splitter des Lebens und der ganze Mozart-Kosmos.