Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (19.06.2006)
Opernhaus Zürich. Erstmals ist hier «Die Sache Makropulos» von Leos Janacek gespielt worden. Doch Karel Capeks Krimikomödie bleibt statisch.
Das Wissen darum, dass unser Dasein hienieden endlich ist, mag ja zwar nicht immer angenehm sein. Aber wie wärs, bitte, wenn das Leben weiter und weiter ginge? Da bekommt doch der Sensenmann beinahe schon ein freundliches Antlitz.
In der Kriminalkomödie «Die Sache Makropulos» des tschechischen Autors Karel Capek sucht die 1585 geborene Sängerin Emilia Marty nach jenem Geheimrezept ihres Vaters, des Leibarztes von Kaiser Rudolf dem Zweiten, für ein lebensverlängerndes Mittel, das sie seinerzeit als Versuchskaninchen hatte schlucken müssen.
Namen, Länder und Männerbeziehungen wechselnd, ist Emilia als junge und schöne Frau durch die Jahrhunderte geirrt und hat als Mutter eines unehelichen Sohnes den Anstoss zu einem seit 1827 wogenden Erbschaftsstreit zwischen den Familien Gregor und Prus gegeben. Jetzt, 1922, wird das Geheimnis gelüftet und gegen das Rezept entschieden: Es wird verbrannt.
Capeks Landsmann Leos Janacek hat den Dreiakter zu einer gleichnamigen Oper verwandelt und, wie in anderen seiner Werke auch, eine starke Frauenfigur gestaltet. Während bei Capek die Hauptperson als kaltes Ungeheuer endet, gönnt ihr Janacek die wärmenden Strahlen des Mitleids.
Musikalisch verzichtet er in dem Dialogstück auf Folkloristisches und setzt dafür umso rigoroser auf seinen eigentlichen Personalstil in der Arbeit an kleinen und kleinsten, der Sprechmelodie abgelauschten Motivzellen. Formbildend wirken vor allem Wortwiederholungen oder das Weiterwandern motivischen Materials in den Part des gross besetzten Orchesters.
In einem Aufsatz hat Adorno «Die Sache Makropulos» mit Kafka verschaltet, und in einer kafkaesken Lesart hätte sich die Geschichte gewiss auch auf die Bühne bringen lassen. Regisseur Klaus Michael Grüber, Ellen Hammer (Regiemitarbeit), Titina Maselli und Barbara Bessi (Bühne) und Moidele Bickel (Kostüme) sind das 1926 uraufgeführte Werk mehr von seiner magisch-kreatürlichen Seite her angegangen.
Auf der Bühne mit einer Bahnhofhalle als Grundraum dominiert eine stets gegenwärtige mächtige Lokomotive, die womöglich die (über)lange Lebensreise von Emilia anzeigt und vor die sich diese, den Tod umarmend, am Ende wirft. Die Kostüme verweisen auf die frühen 1920er-Jah-re und stützen die nichtpsycholo gisierend gestalteten Charakterporträts. Zwar scheint eine gewisse inszenatorische Statuarik dieser Oper angemessen, und es kommt ja auch zu Phasen einer belebteren Groteske - aber insgesamt gelingt es Grüber etwas zu wenig, die Geschichte spannend zu erzählen.
Die Emilia von Gabriele Schnaut profitiert stark von den Vorzügen der grossen, raumfüllenden Stimme der Wagner- und Strauss-Sängerin. Peter Straka und Alfred Muff gaben an der Premiere profilierte Prozess-Gegenspieler in dem leidenschaftlichen Albert Gregor (eine mitunter unbarmherzig hoch steigende Tenorpartie) und dem baronesken Jaroslav Prus. Rolf Haunstein, der am Ende der Vorstellung zum Souffleurkasten ging und die dort herausgereichte Hand schüttelte, liess der Partie des Anwalts Kolenaty wortartikulatorische Disziplin angedeihen. Die Rolle des greisen Erotomanen Hauk-Sendorf war bei Boiko Zvetanov bestens aufgehoben.
«Die Sache Makropulos» ist erstmals in Zürich gespielt worden. Zum Haus-Debüt trat auch der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan an. Unter seiner Hand erwuchsen im Orchestergraben zum Beispiel zart tonig fliessende Streicherklänge wie aber auch, wo geboten, «undomestiziert» scharfkantige Akkordblöcke, Blechfanfarenmotive und Paukenschläge.