Gefährliche Liebschaften

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (01.07.2009)

Così fan tutte, 28.06.2009, Zürich

Sven-Eric Bechtolf könnte, so geht das Gerücht, Alexander Pereiras Schauspiel-Leiter bei den Festspielen werden. - Im Zürcher Opernhaus, also an Pereiras derzeitiger Wirkungsstätte, inszenierte er jetzt Mozarts "Cosi fan tutte".

Wie ein Orkan wirbelt bereits die Ouvertüre das Publikum auf und lässt den bevorstehenden Scherbenhaufen vorausahnen. Welser-Möst entfaltet im Folgenden das emotionale Auf und Ab der Seelen ganz im natürlichen Klangfluss und mit ausgewogenen Tempi. Ganz im Sinne einer fatalistischen Deutung, dass jenes von Don Alfonso initiierte Spiel der menschlichen Seele entspricht, die sich der aufklärerischen Ratio verweigert.

Die Musik und Text innewohnende Doppelbödigkeit unterstreicht Welser-Möst, indem er die Musiker zu konturiertem und durchsichtigem Spiel animiert, da und dort Erkenntnisse der historisch-informierten Aufführungspraxis einfließen lässt und immer wieder prägnante Akzente setzt. Trotz einiger Unstimmigkeiten zu Beginn behauptet sich das Opernhaus-Orchester unter der Leitung seines ehemaligen Chefs als von ihm geformter Klangkörper von hoher Güte.

Mit Bedacht hat Hausherr Alexander Pereira ein Mozartensemble aufgebaut, das zum Teil schon in der zweiten Generation den musikalischen positiven Eindruck abrundet. Javier Camarena verleiht dem Ferrando südländisches Temperament und gefällt mit dem lyrischen Schmelz seines schmiegsamen, noch etwas unausgereiften Tenors. Sein aus Winterthur stammender Schweizer Kollege Ruben Drole als Guglielmo steht ihm punkto Temperament mit seinem charismatischen, auftrumpfenden Bariton nicht nach. Als rasch zu neuen Liebesabenteuern bereite Dorabella reüssiert Anna Bonitatibus mit makelloser, leichter Stimmführung.

Malin Hartelius ist mittlerweile zur Fiordilligi gereift, für deren emotional etwas größere Standhaftigkeit sie mit abgerundetem, obertonreichem Sopran eine Idealbesetzung ist. Der Drahtzieher des im Laufe des Abends aus den Fugen geratenden Spiels mit den Seelen, Don Alfonso, ist bei Oliver Widmer in besten Händen, auch wenn sein heller Bariton zunächst gewöhnungsbedürftig ist. Regisseur Sven-Eric Bechtolf macht ihn zu einer Mischung aus Pseudo-Wissenschaftler und in die Jahre gekommenem Lebemann. Martina Jankovà versprüht als mit allen Wassern gewaschene Despina Komödiantentum pur, und die kurzen Chorpassagen schließlich sind beim von Ernst Raffelsberger einstudierten Hauschor in guten Händen.

Das Experimentieren mit den Seelen verdoppelt Sven-Eric Bechtolf nicht mit einem Regieexperiment. Für Bechtolf und seine Ausstatter (Bühnenbild: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg) muss das Seelenexperiment in seiner Entstehungszeit 1790 angesiedelt sein, weil ähnliche Experimente in der Endphase des Ancien régimes zu einer Art Gesellschaftsspiel geworden waren. Erinnert sei nur an Choderlos de Laclos „Gefährliche Liebschaften“.

Die im Grunde konventionelle Inszenierung in den hohen weißen Sälen mit Blick auf einen strahlend blauen Himmel als Kontrast zum inneren Sturm der Protagonisten profitiert in erster Linie von der Agilität der Sänger. Während Bechtolf meint, den ersten Akt noch durch eine Reihe zusätzlicher Gags anreichern zu müssen, lässt er Ruhe einkehren, je mehr Alfonso und Despina die Zügel aus den Händen verlieren.

Handwerklich insgesamt ein solider Abend, der der Musik über weite Strecken den Vortritt lässt. Nur ins „lieto fine“ greift Bechtolf korrigierend ein, wenn Fiordilligi zu den Schlussversen zu Gift greift und tot zusammenbricht. Ein Zurück zur alten Ordnung ist unmöglich.