Gleich und Gleich gesellt sich gern

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (04.09.2009)

La grotta di Trofonio, 02.09.2009, Winterthur

Opernhaus-Premiere in Winterthur: Antonio Salieris «La grotta di Trofonio»

Beides ist zur schönen Tradition geworden: die Eröffnungspremiere des Opernhauses Zürich im Theater Winterthur und die Aufführung einer Rarität. Diesmal ist die Wahl auf Salieris «La grotta di Trofonio» gefallen.

Seit Peter Shaffers Theaterstück «Amadeus» und dessen Verfilmung durch Miloš Forman ist Antonio Salieris Image so schlecht wie falsch. Nicht nur der missgünstige, künstlerisch minderwertige Rivale Mozarts sei er gewesen, sondern auch dessen Mörder. Wie Salieris Musik tatsächlich klingt, ist hingegen wenig bekannt. Jetzt lässt es sich anhand seiner einst erfolgreichsten Oper erfahren. «La grotta di Trofonio», 1785 in Wien uraufgeführt, erinnert in der Figurenkonstellation sehr an Mozarts fünf Jahre später komponierte «Così fan tutte». Und weil das Opernhaus die beiden Werke in unmittelbarer Abfolge auf den Spielplan gesetzt hat – «Così» zum Abschluss der vergangenen Spielzeit, Salieris Gegenstück zur Eröffnung der neuen –, kann man sie jetzt direkt miteinander vergleichen.

Amouröse Verwicklungen

Wie die letzte von Mozarts Da-Ponte-Opern handelt «La grotta di Trofonio» von zwei jungen Liebespaaren, den Zwillingsschwestern Dori und Ofelia, fröhlich, unbeschwert und sinnenfreudig jene, ernsthaft, grüblerisch und spröde diese. Nach dem Motto «Gleich und Gleich gesellt sich gern» wählen sie ihre Partner entsprechend ihrem eigenen Temperament, Dori den munteren Plistene, Ofelia den nachdenklichen Artemidoro.

Doch dann geraten die zwei Männer in die Grotte des Zauberers Trofonio, wo jeder Charakter sich in sein Gegenteil verkehrt, und von den solcherart veränderten Liebhabern wollen die beiden Schwestern nichts mehr wissen. Ein Partnertausch steht, anders als bei Mozart, nicht zur Diskussion. Im zweiten Akt wird das Experiment genau symmetrisch mit den Frauen wiederholt, nun verändern sich Ofelia und Dori. Zum Glück lässt sich die Metamorphose jedoch durch einen zweiten Aufenthalt in der Höhle rückgängig machen, so dass die Paare am Schluss wieder zusammenfinden. Die sarkastische Kritik an aufklärerischen Zeitmoden, welche diese reichlich schematisch wirkende Vorlage enthält – Temperamentenlehre, Magiertum, philosophische Scharlatanerie werden ad absurdum geführt –, lässt sich heute kaum mehr plausibel vermitteln, doch ganz so brav, wie es der Regisseur und Bühnenbildner Mario Pontiggia tut, müsste die Opera comica denn doch nicht in Szene gesetzt werden. An dekorativen Reizen – antike Säulenstellungen und Marmorfragmente, ein idyllischer Landschaftsprospekt, eine Grotte in Urnenform, kleidsame Kostüme à la Rokoko (Giovanna Buzzi) – ist kein Mangel, aber es geschieht auch nichts, was die Vorhersehbarkeit des Handlungsablaufs brechen würde.

Animiertes Ensemble

Dabei zeigt sich das kleine Ensemble darstellerisch wie sängerisch animiert. Isabel Rey wartet als Dori mit einer köstlichen Schwips-Szene auf, László Polgár gibt mit Gusto den bombastischen Magier, Davide Fersini als Aristone ist ganz der wohlmeinende Vater, der sich allerdings durch die – auch musikalischen – Turbulenzen gar leicht aus dem Takt bringen lässt, Gabriel Bermúdez als Plistene und Krešimir Spicer als Artemidoro kosten die charakterlichen und stimmlichen Gegensätze der zwei Liebhaber nach Noten aus, und die neu engagierte junge Mezzosopranistin Serena Malfi nimmt als Ofelia mit ihrem warmen, samtenen Timbre für sich ein. – Auch das Orchester Musikkollegium Winterthur unter seinem neuen Chefdirigenten Douglas Boyd stellt die Qualitäten von Salieris Werk ins vorteilhafteste Licht: das Raffinement der Instrumentation, die Vielfalt melodischer Einfälle, die wirkungsvollen Kontraste, die inspirierten Ensembles. Zumal die Holzbläser haben da schöne Auftritte. Für Abwechslung ist jedenfalls trotz den vielen Rezitativen gesorgt.

Eine Frage des Menschenbildes

Doch was resultiert aus dem Vergleich mit Mozarts «Così fan tutte»? Es ist nicht primär eine Frage der Machart, was die Opern unterscheidet, manche melodischen Wendungen klingen sogar sehr Mozart-nahe. Entscheidend ist vielmehr das in den Libretti wie in der Musik vermittelte Menschenbild. Und da stehen der Zauberer Trofonio und der Philosoph Alfonso in der Verantwortung. Jener experimentiert mit typisierten Charakteren, dieser mit menschlichen Gefühlen. Die Folgen sind entsprechend, für die Werke wie für ihre Figuren.