Alle sind anders und auch ihr Gegenteil

Herbert Büttiker, Der Landbote (04.09.2009)

La grotta di Trofonio, 02.09.2009, Winterthur

Die Winterthurer Theatersaison startete am Mittwoch mit Premierenglück und wie immer im Verbund von Opernhaus, Musikkollegium und hauseigener Technik. Neu in den Blick gerückt wurde ein altes Erfolgsstück von Antonio Salieri.

Im Hintergrund der dunklen Bühne schimmert eine riesige Urne im dämmrigen Licht, umgeben von einer Steintreppe und umwabert von Nebelschwaden. Sie gehört zu einer Grotte von eigenartiger Magie. Wer sie betritt und wieder herauskommt, ist verwandelt. War er vorher ein heiterer, ist er jetzt ein melancholischer Mensch; liebte er vorher die Philosophie über alles, stürzt er sich jetzt ins lustige Leben.

Schön wie im Bilderbuch ist dieser Ort des Mysteriums, den der argentinische Bühnenbildner und Regisseur Marius Pontiggia entworfen hat. Eine Augenweide ist das Ambiente überhaupt mit dem Ausblick in die mediterrane Landschaft, mit antiken Statuen und Säulenelementen, die sich im Rhythmus der Szene jeweils neu ordnen. Die Menschen, die hier auftreten, sind nicht alte Griechen, sondern Gräkomanen des 18. Jahrhunderts, folkloristisch uniformiert sind die Diener, putzig präsentieren sich die Damen (Kostüm: Giovanni Buzzi).

Fast ein wenig übertrieben schön ist das alles, aber deswegen gerade richtig für «La grotta di Trofonio». Denn Antonio Salieris 1785 in Wien uraufgeführt «Opera comica» versteckt allen Hintersinn im vordergründig witzigen Spiel. Die Grotte ist ja zunächst auch nur eine Maschine. Sie setzt die Komödie in Gang, die nach der ersten Szene sonst schon zu Ende ginge – mit der Doppelhochzeit der lustigen Dori mit dem lustigen Plistene, der ernsten Ofelia mit dem ernsten Artemidore und mit einem Aristone als überglücklichem Vater obendrein.

Nur weil der Magier Trofonio alle nacheinander in die Höhle lockt, gerät die Harmonie aus den Fugen, gibt es Szene für Szene Missverhältnisse, Reibung und Übertreibung im Spiel der plötzlich ungleichen Paare. Das führt allerdings nicht wie in «Così fan tutte» zum Versuch einer neuen Harmonie im Partnertausch, aber in der systematischen vierfachen Durchführung zur Erfahrung, dass der Partner auch noch ein ganz anderer sein kann als der, den man liebt, und das könnte selbst im deftigsten Komödienspass für einige Beunruhigung sorgen, wenn ein Regisseur denn wollte.

«La grotta di Trofonio» ist weniger eine typische Opera buffa des 18. Jahrhunderts als ein komödiantisch-lehrhaftes Stück über Vernunft und Sinnlichkeit, und auch musikalisch changiert es wunderbar zwischen dem Klamauk eines Quak-Terzetts (auf das Wörtchen «qua») und empfindsamen Arien. Die Grenzen der Ironie bleiben bei dieser Musik weit offen, aber ihr ernster Grund ist unüberhörbar. Dass sie der epochalen Sehnsucht nach wahrer Harmonie beredten Ausdruck verlieh, machte ihren Erfolg wohl ebenso aus wie ihre quirlige Lustigkeit. Jedenfalls waren der Literat Giambattista Casti (1724–1803) als Librettist und Antonio Salieri (1750–1825) mit seiner einfallsreichen Musik ein Gespann von europäischem Rang – auf der Höhe einer Zeit, die «Anmut und Würde», aber auch «Gefährliche Liebschaften» verhandelte.

Energie und Tempo

In Zürich lässt Pereira Mozart spielen, in Winterthur Salieri – aus der Bemerkung, die zuweilen über die Zusammenarbeit zwischen dem Opernhaus Zürich und dem Theater und Musikkollegium in Winterthur zu hören ist, kann man den spöttischen Beiklang durchaus streichen. Es bleibt die Tatsache, dass vor sechs Jahren hier Salieris Dramma tragicomico «Axur Re d’Ormus» aufgeführt wurde. Und wieder zu erleben ist, dass der viel geschmähte Komponist hier mit dem Orchester des Musikkollegiums einen erstklassigen Anwalt hat. Das gilt für die vielen Bläserpassagen, Melodisches, Lautmalerisches, auch eigenwillig Expressives wie die Englischhorn- und Fagottbegleitung von Plistenes Kavatine; es gilt für die kraftvoll agilen Streicher und für das Orchester als Ganzes, das auch den manchmal grenzgängerischen Anforderungen seines neuen Chefdirigenten Douglas Boyd, was Energie, gestalterische Differenzierung und Tempo betrifft, bravourös folgte.

Erstklassig ist auch das Ensemble des Opernhauses, das die musikalische Lebendigkeit, die aus dem Graben kommt, auf der Bühne spielerisch wie sängerisch gekonnt in komödiantisches Treiben umsetzt. Am Werk sind etliche neue, aber auch beliebte und bewährte Kräfte. An der Spitze die vife Isabel Rey als muntere bis rabiate Dori. Wie sie betrunkenes Lallen und notenklaren Ariengesang zusammenbringt, ist ein Kabinettstück für sich, wie sie als Moraltante mit gravitätischer Stimme den Zeigefinger hebt, ein anderes. Auch für Alfred Polgar hat das Stück die Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben scheint. Mit salbungsvollem Bass gibt er den Trofonio, den in der Grotte hausenden Magier, der von einer Geisterschar aus neun markigen Stimmen und von Pauken und Trompeten begleitet wird.

Nicht nur die bewährten, auch junge Ensemblestimmen machen Freude. Die Mezzosopranistin Serena Malfi glänzt als Ofelia mit opakem Timbre und schöner Phrasierung, und sie beherrscht locker auch leichte La ra la ra. Der Tenor Kresimir Spicer als ihr Partner Artemidoro, der seine Stimme in der Phase philosophischer Zurückhaltung allerdings besser im Griff hat als in der draufgängerischen, präsentiert mit seinen zwei schwärmerischen und stillen Arien auf berührende Weise zwei Glanzstücke der Partitur. Der Bariton Gabriel Bermúdez spielt den flatterhaften Plistene sängerisch präzis, aber köstlich unbekümmert und sorgt mit seiner Hamlet-Persiflage für Lacher; und nicht zuletzt ist da der Bass Davide Fersini als Aristone, der geschmeidig, kompakt und höhensicher den «besten aller Väter» augenzwinkernd verkörpert.

Für alle gab es an der Premiere viel Zwischen- und Schlussapplaus – diesen freilich erst nach einem reichlich erschöpfenden Finale. In dessen Mitte liess der zweifache Trugschluss sogar den gleichmütigen Trofonio entnervt die Hände ringen – ein kleiner Scherz im Blick auf das enorme Abendpensum –, aber der Dirigent hielt weiter Kurs, und ihm folgten alle willig bis zum Schlussakkord.