Anna Kardos, Tages-Anzeiger (04.09.2009)
Das Zürcher Opernhaus eröffnet die Saison mit der Trouvaille «La Grotta di Trofonio» von Antonio Salieri. Der Abend in Winterthur vereint hübsche Musik mit einer etwas statischen Handlung.
Die Zahl Zwei war wohl die Lieblingszahl des Librettisten Giambattista Casti - mindestens zu der Zeit, als er am Textbuch von «La Grotta di Trofonio» arbeitete. Zu diesem Schluss kommt, wer die Handlung der Oper zusammenfasst. Um zwei Zwillingsschwestern geht es da nämlich. Diese haben zwei verschiedene Temperamente - die eine ernst, die andere übermütig - und zwei Bräutigame, die den zur jeweiligen Schwester passenden Charakter haben. Nun werden die beiden Männer zweimal verzaubert. Einmal in ihren entgegengesetzten Charakter - und dann wieder zurück. Und als wäre das nicht genug der Zahl Zwei, wird die ganze Historie ein weiteres Mal durchgespielt - nun mit den zwei Frauen als den zu Verwandelnden.
Die Saisoneröffnung des Zürcher Opernhauses wird traditionell mit dem eigenen Gesangsensemble, aber dem Orchester des Musikkollegiums Winterthur bestritten. Und ebenso traditionell findet dabei eine selten gespielte Oper den Weg auf die Bühne des Winterthurer Stadttheaters. Wie es bei unbekannten Opern manchmal so ist: Einige drängen geradezu auf die Bühne, andere müssen mit einigem Aufwand hinaufgehievt werden. Bei «La Grotta di Trofonio», 1785 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, wird man das Gefühl nicht ganz los, es mit der zweiten Kategorie zu tun zu haben. Zumindest aus dramaturgischer Sicht.
Spass am Verstellungsspiel
Aber da ist noch die Musik Antonio Salieris. Sie ist lebendig, voll sprühenden italienischen Charmes und Leichtigkeit. Als hätte man in einen grossen Topf Musik von Vivaldi und dem jungen Mozart gefüllt und kräftig gerührt.
Die Musik ist es schliesslich auch, der die ziemlich künstliche Symmetrie des Librettos zugutekommt (weshalb man ihm einiges wieder verzeiht). Salieri zeichnet nämlich die verschiedenen Rollencharaktere geschickt, und wenn der Zauber einsetzt, spielt er geradezu meisterhaft mit ihrer Verwandlung. Als die ernste Schwester (mit wunderbar klarem Mezzosopran: Serena Malfi) sich in einen überdreht-unbeschwerten Charakter verwandelt, wandelt sich auch ihr eloquenter, langsamer Gesang in ein Pseudo-Menuett auf den Text «La ra la ra». Salieri überzeichnet dies so geschickt, dass man sogleich spürt: Hier ist etwas faul.
An diesem Verstellungsspiel haben vor allem die beiden Sänger in den Rollen der Bräutigame sichtlich Spass. Fast schon rührend komisch ist Kreimir Spicer. Weich und warm war sein Gesang eben noch, nun rattert er rasante Sechzehntelketten herunter. Atemlos, kopfüber quasi und mit dem tollkühnen Ausdruck, den nur ein Bücherwurm haben kann, in dem soeben der Eros erwacht ist. Dafür hüllt Gabriel Bermúdez - ehemals fröhlicher Lebemann, nun frischgebackener Denker - seinen klaren und präsenten Bariton in ein weinerlich-hohles Timbre. Das unbedingte Pathos, mit dem er sich seinem neuen Philosophendasein widmet, lässt einen mehr als einmal auflachen.
Auch das übrige Ensemble überzeugt: Isabel Rey als lustige Schwester mit ihrer differenzierten Gestaltung, Davide Fersini als Vater mit schönem Schmelz und wunderbar lebendigen Rezitativen und László Polgár als Zauberer mit einer tragenden, warmen Stimme, die unter die Haut geht.
Douglas Boyd, der neue Chefdirigent des Musikkollegiums Winterthur, hat ein sicheres Gespür für die Charakterzeichnungen in Salieris Musik. Und nicht nur für jene auf der Bühne. Selbst die Ouvertüre gestaltet er als Minitheater, schöpft aus dem Vollen, ohne dabei je den historisierenden Klang zu vergessen. Dass Einsätze und Intonation nicht immer auf der Höhe der musikalischen Interpretation sind, ist schade, aber weit weniger schlimm, als wenn es andersherum wäre.
Das Spiel mit den verschiedenen Charakteren ist auch die Stärke der Inszenierung. Mario Pontiggia kann zwar den dramaturgischen Flachbogen nicht in eine spannende Achterbahn umdeuten, aber er belebt die Figuren und einzelnen Szenen. Mal mit feinem Witz, mal mit derberem Slapstickhumor. So ist der Abend ein überaus hübsches Amüsement, wenn auch mit einem Beigeschmack wie aus dem Reagenzglas.