Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (04.09.2009)
Dass das Zürcher Opernhaus seine Spielzeit im Winterthurer Stadttheater eröffnet, hat Tradition. Dass die erste Opernpremiere nicht das saisonale Highlight ist, auch: Diesmal ist es «La Grotta di Trofonio».
Antonio Salieri war der grosse Widersacher von Wolfgang A. Mozart. Seine Musik kennt man kaum mehr. Nun kann man am Theater Winterthur als Saisoneröffnung des Opernhauses Zürich seine Opera comica «La Grotta di Trofonio» erleben: ein musikalisch fantasievolles und interessantes Stück, dessen Libretto jedoch reichlich oberflächlich und langfädig daherkommt. Am Premierenabend gabe es für alle Beteiligten trotzdem herzhaften Applaus.
Am Pult des Orchesters des Musikkollegiums Winterthur stand Douglas Boyd, der neue, relativ junge Chefdirigent des Orchesters. Boyd stammt aus Schottland und hat sich vor allem als Dirigent namhafter Kammerorchester einen Namen gemacht; im Opernfach hat er jedoch noch wenig Erfahrung. Seinen Einstand gleich mit Salieris unbekannter Oper geben zu müssen, war für Boyd in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung: Das Orchester prägt stark, sei das farblich oder rhythmisch, und die Koordination mit den Sängern ist durch schnelle Tempowechsel und rasende Stretta-Arien sehr heikel. Boyd und das Orchester des Musikkollegiums Winterthur verstehen sich gut, das wurde bald ohrenfällig. Die Aufmerksamkeit der Musiker war hoch, die immer wieder geforderten Bläser wirkten gut integriert und farblich doch prägend, und die Präzision war im 1. Akt überzeugend. Erst im Laufe des 2. Aktes gab es ein paar Koordinationsschwierigkeiten mit den Sängern, die sich zum Teil etwas verselbständigten. Die kammermusikalischen Qualitäten von Salieris Orchestersatz hingegen wurden von Boyd lyrisch differenziert ausformuliert.
Vertrackte Geschichte
Salieris «La Grotta di Trofonio» erzählt eine heitere, aber ziemlich konstruierte Geschichte. Die beiden Töchter des italienischen Kaufmanns Aristone sollen heiraten, und zwar einen Mann ihrer Wahl. Die eine, Ofelia, ist eher introvertiert, liest gerne und denkt an den philosophisch angehauchten Artemidoro. Ganz anders die lebenslustige Dori, die Artemidoros Freund Plistene wegen seiner heiteren, unterhaltsamen Art auserkoren hat. Der Vater ist einverstanden und möchte die Doppelheirat in die Wege leiten.
Doch da geraten die beiden Männer im Wald in den Bann des Magiers Trofonio. Wer in Trofonios Grotte geht, kommt mit einer ganz anderen Wesensart wieder heraus. Die Lustigen werden ernst, die Ernsten lustig. Nicht nur die beiden Männer, auch die Schwestern wechseln so ihre Charakter. So geht das den ganzen Abend hin und her, bis am Schluss alle vier wieder normal und die beiden Paare glücklich vereint sind. Über drei Stunden dauern diese Wesensverwandlungen. Und es gibt nicht einmal Partnertausch.
Regisseur und Bühnenbildner Mario Pontiggi hat dafür ein Einheitsbühnenbild mit Säulenrundgang im Stil der griechischen Antike geschaffen. Im Hintergrund steht ein Bühnenprospekt mit Bäumen – ein reichlich «altbacken» wirkendes Bühnenbild. Dennoch, die leicht verschiebbaren Mauernteile des Säulenrundgangs ermöglichen schnelle, nahtlose Szenenwechsel, und die Grotte wird durch eine übergrosse antike Urne dargestellt, die auf der einen Seite aufgebrochen ist.
Musikalische Glanzpunkte
Auch die Kostüme von Giovanna Buzzi sind der griechischen Antike nachempfunden. In den weiten, luftigen Röcken bewegen sich die beiden Schwestern leicht und frei. Isabel Rey gibt die lebenslustige Dori mit keckem Auftritt und tänzerischer Leichtigkeit. Sie singt dabei mit heller, virtuos geführter Stimme. Herrlich auch ihre «besoffene» Arie im 2. Akt, in der sie den Wandel ihres Partners zum Philosophen mit Alkohol kontert. Serena Malfi weiss als brünette Ofelia ihren Sopran dunkel einzufärben, was unter den beiden Frauen einen guten stimmlichen Kontrast gibt. Dass Malfi auch anders kann, offenbarte sie nach ihrer Verwandlung in die Lebenslustige. Plötzlich klang ihre Stimme heller und kecker, ihre «La la la»-Arie gehörte zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.
Eine betörende lyrische Kraft hatte die Tenorstimme von Kresimir Spicer. Seine Arie vor der Grotte sang er mit weichem Schmelz, sein Werben um Ofelia mit rührender Verhaltenheit. Doch der Wechsel zum vitalen Lebemann lag seiner Stimme nicht, sie kippte bei den dynamischen Ausbrüchen ins metallig Scharfe. Der zweite Tenor Gabriel Bermúdez wirkte neben Spicer etwas monochrom und blass, führte seine Stimme aber kontrolliert und spielte das komische Element fast etwas übertrieben aus. Überhaupt brachten alle Sänger-Darsteller ein gutes schauspielerisches Temperament mit, was den Abend trotz seiner Länge unterhaltsam machte. So auch Davide Fersini, der nun in Zürich festes Ensemblemitglied ist. Er spielte die Rolle des Vaters mit Leichtigkeit und Verve, sang mit einer ganzen Palette von Farben und war nicht nur komisch, sondern auch ganz natürlich. Demgegenüber trat Laszlo Polgar als Magier etwas gar «stelzig» auf. Er sang die Partie jedoch mit gewaltiger, gut tragender Stimme. Der grosse Applaus galt vor allem diesem sympathischen Sängerensemble, das in den Rezitativen von Jeffry Smith am Hammerklavier einfühlsam begleitet wurde.