Verwirrung der Gefühle auf und neben der Bühne

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (06.09.2009)

La grotta di Trofonio, 02.09.2009, Winterthur

Mit der Opernrarität «La Grotta di Trofonio» von Antonio Salieri hat das Opernhaus Zürich die Saison im Theater Winterthur eröffnet. Überzeugend waren dabei nur die Sänger, ansonsten offenbarten sich eklatante Mängel.

Plistene ist ein lebhafter junger Mann. Das passt seiner Verlobten Dori bestens. Deren Schwester Ofelia hingegen liest am liebsten Philosophen und ist auch sonst ganz schöngeistig veranlagt. Genau wie Artemidoro, ihr Verlobter. Auch Vater Aristone ist mit den beiden Schwiegersöhnen durchaus einverstanden, womit einer Doppelhochzeit nichts im Wege stehen würde. Bloss gibt das keine Handlung für eine Komödie, weshalb wir den Magier, Orakeldeuter und Philosophen Trofonio dringend auch noch brauchen. Der wohnt in einer Grotte, die er ganz raffiniert verzaubert hat: Wer zum falschen Ausgang wieder rausgeht, der wird charakterlich umgepolt, das heisst, aus einem Heisssporn wird ein Langweiler und umgekehrt.

Es kommt, wie es kommen musste: Die beiden Männer gefallen nach dem Höhlenbesuch ihren Zukünftigen nicht mehr ganz so richtig, was allgemeine Verwirrung auslöst. Zufällig und nach wie vor in Unkenntnis der zauberhaften Machenschaften besuchen die Männer die Grotte erneut und sind somit wieder sie selbst, womit das Happy End erneut in Griffweite gerückt wäre. Dummerweise haben unterdessen auch die beiden Damen Höhlenforschungen betrieben, womit sich mit umgekehrten Vorzeichen dieselben Charakterinkompatibilitäten ergeben. Trofonio, der sich bis dahin köstlich amüsiert hat, klärt nun das magische Geheimnis auf, und endlich dürfen sich die Auserwählten ins Brautkleid stürzen.

Lange drei Stunden

Diese liebenswerte Komödie auf ein Libretto von Giambattista Casti hat Antonio Salieri 1785 für das Wiener Burgtheater komponiert. Das Zürcher Opernhaus wählte sie nun zur Eröffnung der Saison, die traditionell in Winterthur mit dem Musikkollegium über die Bühne geht.

Arg lang allerdings wurden die drei Stunden. Noch beim Schlussapplaus spielten die sechs Darsteller ihre Rollen. Dabei hätte der argentinische Regisseur Mario Pontiggia besser davor ein paar Ideen entwickelt. Die Komödie plätschert bei ihm so unglaublich einfältig, brav, bieder und handgestrickt dahin, dass man sich auf dem Dorftheater wähnt. Nicht einmal eine zunehmend besoffene Familienratssitzung kriegte er einigermassen lustig hin. Meistens aber hat er gar keine Ideen für die Personenführung. Ohne Sinn und Zweck tigerten die Darsteller auf der Bühne herum, ein Äquivalent zu seinem eigenen Bühnenbild, das sich ebenfalls in vielen sinnlosen Aktionen gefiel. Manchmal wurden die Podeste mit antikisierenden Säulen auch dann herumgeschoben, wenn die Szene gar nicht wechselte, einfach weil eine Arie zu Ende war.

Zum Glück kann das Zürcher Opernhaus auf ein erstklassiges Mozart-Ensemble zurückgreifen. So genügten wenigstens die sängerischen Leistungen den Ansprüchen, den die Affiche «Opernhaus Zürich» ausstrahlt. Vor allem Kresimir Spicer als Artemidoro überzeugte. Aber auch die anderen hielten allesamt das Niveau hoch, Isabelle Rey als Dori und Serena Malfi als Ofelia, Gabriel Bermudez als Plistene und Davide Fersini als Vater Aristone sowie nach anfänglichen Limiten Laszlo Polgar als Magier Trofonio.

Fehlende Koordination

Am Pult des Musikkollegiums Winterthur stand Douglas Boyd, der seit dieser Saison neuer Chefdirigent in Winterthur ist. Viel Opernerfahrung scheint er nicht zu haben, jedenfalls litt die Koordination zwischen Bühne und Orchestergraben massiv. Und auch seine Musiker scheint er noch nicht so recht einschätzen zu können. Immer wieder überforderte er sie mit rasanten Tempi oder abrupten Wechseln.

Boyd tat kaum etwas, die Pauschalität des Orchesterklangs aufzubrechen oder die durchaus vorhandenen delikaten Orchestrierungsklangfarben herauszuarbeiten. Von den empfindsamen Seiten dieser Musik und ihrem Charme war kaum etwas zu hören. Wie quirlig und überdreht dieses Stück eigentlich klingen und aussehen könnte, haben Christophe Rousset und der bretonische Schauspielregisseur Marcial de Fonzo Bo vor fünf Jahren in Lausanne gezeigt. So aber bleibt Salierei in den Köpfen bloss jener mittelmässige Komponist, welcher dem nicht ausrottbaren Märchen zufolge Mozart vergiftet haben soll.