Wozzeck-Ausgrabung

sda, St. Galler Tagblatt (08.09.2009)

Wozzeck, 06.09.2009, Luzern

Manfred Gurlitt brachte seinen «Wozzeck» 1925/26 in Bremen zur Uraufführung, zeitgleich mit Alban Bergs gleichnamigem Werk. Berg wurde zum Klassiker, Gurlitt ging vergessen. Das Luzerner Theater hat ihn jetzt wieder entdeckt – ein Glück. Gurlitt, 1890 in Berlin geboren, musste als Bolschewist 1939 Nazideutschland verlassen, ging nach Japan und starb dort 1972 hochangesehen.

Büchners Roman setzt er in 18 oft sehr kurze Szenen um. Sie stehen ohne Orchesterzwischenspiele nebeneinander; die Musik konzentriert sich ganz auf die Figuren. So erhält Wozzeck einen Leitklang mit dunkel grundierten Streichern. Doktor und Hauptmann werden mit quirligen Phrasen karikiert. Den Tambourmajor demontiert Gurlitt mit verzerrter Marschmusik. Ein sinfonischer Epilog nimmt Partei für die Opfer der Gesellschaft. Es ist ergreifende Mitleidsmusik, in welcher der Chor im Off das Leitmotiv der Oper singt: «Wir arme Leut».

Regisseurin Vera Nemirova holt die Choristen auf die Bühne, als Vertreter der Oberschicht. Ulrike Kunzes elegante Kostüme der 20er-Jahre, ganz in Weiss, schaffen ästhetische Bilder. Die Solisten entwickeln ausdrucksstarke Figuren. In den Hauptrollen überzeugen Marc-Olivier Oetterli (Wozzeck) und Simone Stock (Marie). Dirigent Mark Foster und das Sinfonieorchester Luzern setzen die Partitur farbenreich um.

Dass die Aufführung den Epilog zum Vorspiel macht und dafür nach der letzten Szene versickert, ist fragwürdig. Im Ganzen belegt der Abend jedoch eindrücklich die Qualität dieser «Wozzeck»-Vertonung. Und Luzern vertieft das Thema weiter: Am 18. September hat die legendäre Musicalfassung von Waits/Wilson Premiere.