Butterfly gegen Bohème: 3:3

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (12.09.2009)

Madama Butterfly, 10.09.2009, Basel

In Bern und Basel beginnt die Opernsaison mit zwei Werken von Puccini. Ein Vergleich zeigt: Die Vorurteile gegenüber den beiden Häusern greifen - aber nicht ganz.

Süsse Opern-Tränen, die im roten Plüsch ihr schönes Ende finden, werden in Bern geweint. Kein Wunder: Das Stadttheater Bern zeigt für einmal - oder eher einmal mehr - Oper wie im alten Film. Die Damen schmachten mit pochendem Herzen in den Logen wie einst Anna Karenina. Hier lässt es sich wohl fühlen, hier gilt alle Sympathie den schwindsüchtigen Figuren, den süssen Tönen des Tenors.

Doch Bern bietet mit Puccinis «La Bohème» nicht nur dem Publikumsgeschmack schmeichelnde kluge Routine, sondern auch Theaterzauber. Nur lässt die junge Regisseurin Mariame Clément den Zauber nicht durch die grosse Pforte auf die Bühne. Traut sie den Bernern nicht allzu viel Fantasie zu? Keiner würde an der Armut der Bohemiens zweifeln, wenn da anstelle einer liebevoll aufgebauten Stundentenbude (Bühne Julia Hansen) bloss ein paar Bretter zu sehen wären, die drei Jungs aber umso intensiver handeln würden.

Die Brechung der Ebene deutet Clément immerhin an: Alles - das Klavier, jeder Stuhl, der Tisch - hängt an Schnüren. Alles bloss ein Marionetten-Stadl? Tatsächlich! Kaum stimmt das Liebespaar das Duett an, verschwindet der Plunder im Bühnenhimmel. Endlich gehts um Gefühle und nicht mehr nur um eine hübsche Szenerie.

Wird 25 Stunden später in Basel gestorben, ist das so realistisch brutal gezeigt, dass manch zarte Seele angewidert wegguckt. Cio-Cio-San reisst sich mit einer Schere vom Handgelenk bis zur Armbeuge die Sehnen auf. Erst links, dann rechts.

In Bern «La Bohème», in Basel «Butterfly» - zweimal eine Puccini-Oper über eine grosse Liebe, zweimal über zwei grosse Frauen-Tode. Wobei in «Butterfly» mehr Zündstoff ist, nimmt sich doch hier der amerikanische Gast eine japanische Geliebte, haut ab - und kehrt zum Schrecken seiner Butterfly mit einer Ehefrau zurück, um auch gleich sein Kind heimzuholen.

Jetske Mijnssen - wie Clément jung, 30 und weiblich - gibt mit dem Selbstmord mächtig Gas. Das muss sie, denn ihre Inszenierung wird im zweiten Teil länger und länger, das anfängliche Detail-, Mätzchen- und Ideenfeuerwerk will nicht mehr greifen.

Gewinnend ist das Basler Ensemble: Hier wurden nach dem Typ die passenden Sänger ausgesucht. Auf die stimmlichen Leistungen hat das keinen negativen Einfluss. Svetlana Ignatovich prescht bisweilen zwar etwas mit der Tongebung vor, wenn ein kräftiges Fliessen mehr Wirkung bringen würde. Die Kräfte reichen allemal und ihre Stimmfarbe ist hinreissend. Maxim Aksenovs ist ein überaus korrekter Tenor, Eung Kwang Lee ein perfekter Sharpless.

Das Berner Ensemble steht den Baslern kaum nach, auch wenn das Liebespaar hier obenaus schwingt. Das dann schon. Hoyoon Chung (Rodolfo) beherrscht die Puccini-Gesten zwischen Effekt und Klangfeier › ganz befreit wirkt er allerdings nur im Fortissimo. Immerhin. Und Tamara Alexeeva ist eine korrekte Mimi, der nur die breit fliessenden Piani etwas fehlen.

Die Orchester spielen hier wie dort erfreulich gut - und erfreulich unterschiedlich. Srboljub Dinic, Berner Chefdirigent, dosiert klug, weiss aber auch, wann es Zeit ist, loszulassen und in den Klangwolken zu schwelgen. Das mag der Basler Dirigent Enrico Delamboye gar nicht: Nüchtern geht er voran und misstraut gar manch gutem Effekt.

Auf dem Papier scheint das Theater Basel vor Bern zu liegen. Doch wie im Fussball zeigt der Direktvergleich zurzeit keine grosse Differenz, auch wenn die Basler meinen, weit vor den Ber- nern zu stehen. Zu diesem Denken passt auch der Opernbeginn: Wer erst um 20 Uhr loslegt, dann die Pause so dehnt, dass die Oper um 22.53 endet, und die 23-Uhr-Züge Richtung Bern und Zürich nur mit einem halsbrecherischen Spurt erreichbar sind, zeigt Arroganz gegenüber den Gästen. Mit Baslern allein ist das Theater, wie die Auslastungszahlen beweisen, nicht zu füllen. Schwamm drüber. «Madama Butterfly» wird auch bald in Zürich gespielt. Und die «Bohème» zeigt SF DRS am 29. September aus einem Berner Hochhaus. Puccini-Freunde jubilieren. Schade wäre allerdings, wenn deswegen Bern und Basel links liegen gelassen würden. Die Gelegenheit ist günstig, «Butterfly» zeitgeistig frisch, «La Bohème» lieblich schön zu sehen.