Prosecco mit Litschis

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (12.09.2009)

Madama Butterfly, 10.09.2009, Basel

Giacomo Puccinis Oper «Madama Butterfly» neu am Theater Basel

Die Oper von 1904 übersteht den Transfer in die Gegenwart ohne Kratzer. Eine nicht überragende, aber sehenswerte Produktion mit jungen Kräften zum Saisonstart.

Als Romantiker gilt er, gar als Meister einer zutiefst bürgerlichen Sentimentalität. Das Bonmot von Eckhard Henscheid sitzt: «Verdi ist der Mozart Wagners und Lehár der Puccini des kleinen Mannes.» Aber Giacomo Puccini aktiviert nicht nur seit hundert Jahren die Tränendrüsen, sondern bringt im Zeichen des «Verismo» brennende Probleme der Gegenwart auf die Opernbühne.

Simpel. So etwa den Konflikt zwischen westlich-moderner und asiatisch-traditioneller Lebens- und Denkweise. In «Madama Butterfly» heiratet ein US-amerikanischer Soldat eine junge japanische Geisha, die ein Kind von ihm kriegt. Nach Jahren der Abwesenheit kehrt dieser B. F. Pinkerton mit einer neuen Frau zurück und holt das Kind ab, worauf die Japanerin Cio-Cio-San oder «Butterfly» mit dem Dolch ihres Vaters Selbstmord begeht.

Es gibt nicht viele Repertoire-Opern, die man ohne allzu grobe Vereinfachung in zwei Sätzen zusammenfassen kann. Die Simplizität der Handlung ist hier eine Qualität. Zumal sie musikalische Differenzierung zulässt: In Puccinis Partitur gibt es Chromatik im Zeitstil der Jahrhundertwende und opernhafte Dramatik, aber auch asiatischen Klingklang, Pentatonik und andere Würzmittel der fernöstlichen Musik – und daneben die kunstvoll eingewobene US-Hymne. Musik wie Prosecco mit Litschis und einem Schuss Jack Daniel’s.

Neutral. Ob dieser Cocktail schmeckt, hängt von der Zubereitung ab. Und die ist am Theater Basel durchaus gekonnt. Die Hauptakteure: eine frische, nicht übermässig verfremdende Regie (Jetske Mijnssen), ein zweckdienliches Bühnenbild mit hübschen Details wie den Kinderzeichnungen an der Wand (Paul Zoller), ein vorzüglich präpariertes, mit Kraft und Sinnlichkeit aufspielendes Sinfonieorchester Basel (Enrico Delamboye) und ein junges Sängerteam mit der Russin Svetlana Ignatovich in der Titelpartie.

Stabil. Die junge Sopranistin hat ebenso wie der Darsteller des amerikanischen Konsuls Sharpless, Eung Kwang Lee, ihr Können im Basler Opernstudio OperAvenir vervollkommnet, was zweifellos für die Opernnachwuchs-Institution spricht. Diese wird neuerdings von der Bank Julius Bär mit einer ungenannten Summe unterstützt. Fürwahr, Banken haben ihr Geld auch schon schlechter angelegt.

Die Butterfly zu singen, das ist zunächst einmal eine riesige Konditionsaufgabe. Schon manche Sängerin hat den Abend als blühende Cio-Cio-San begonnen und ist im Schlussbild als aufgespiesster Schmetterling stimmlich verwelkt. Svetlana Ignatovich passiert dieses Missgeschick nicht. Sie steht ihre Partie von A bis Z mit der ihr eigenen Standfestigkeit durch. Wenn sie sich sängerisch und gestisch noch freispielt und mehr Farben hinzugewinnt, wird man in ihr eine ideale, im Forte kräftige und in der Höhe präzise Butterfly haben.

Eine fabelhafte Besetzung ist der russische Tenor Maxim Aksenov als Pinkerton, der gleich mit seiner Ges-Dur-Auftrittsarie «Dovunque al mondo» in Bann zieht: strahlkräftig, intonationssicher und glaubwürdig. Schade, dass Puccini ihm nicht mehr arioses Material zugestanden hat. An seiner Seite Eung Kwang Lee als amerikanischer Konsul Sharpless – ein Sympathieträger des Stücks, steht er doch zwischen der aufopferungswilligen Cio-Cio-San und dem egoistischen Pinkerton. Sängerisch klingt sein Bariton bei aller Kraft noch recht rau. Ein scharfes Charakterprofil verleiht Karl-Heinz Brandt dem Fiesling Goro, während Valentina Kutzarova die von der Dienerin zur Schwester Cio-Cio-Sans mutierte Suzuki mit etwas verhaltenem, gut geführtem Mezzosopran ausstattet.

Zentral. Es ist nicht der einzige Eingriff der Regie in die Handlung. Das Kind Cio-Cio-Sans ist hier nicht drei, sondern sieben Jahre alt und spielt schon zu Beginn des zweiten Akts eine wichtige Rolle. Der Knabe (Noah Scholz) ist zum Lebenszentrum der beiden Frauen geworden. Dass er ihnen am Ende von Vertretern der Staatsmacht entrissen wird, macht ihren Schmerz nicht geringer.

Im kurzen dritten Akt tritt ein von der Regie erfundenes stummes Pärchen auf, hinter dem man Behördenvertreter von Nagasaki sehen kann und das die Interessen des treulosen Ehemanns Pinkerton vertritt. Die Frau konfisziert den Dolch, mit dem sich Cio-Cio-Sans Vater einst auf Befehl des Mikados umgebracht hat – die modernen Zeiten lassen einen rituell vererbten Selbstmord nicht mehr zu. Die zum Letzten entschlossene Butterfly schneidet sich mit einer Schere die Pulsadern auf, Suzuki bricht im Türrahmen verzweifelt zusammen.

Kühl. Es ist der bewegende Schluss einer Oper, deren Musik einem ans Herz geht, während die Inszenierung eher durch ihre analytische Erzählweise und die sorgsam ausgemalten Nebenhandlungen als durch Emotionalität auffällt. Die Liebesszene am Ende des ersten Teils beginnt mit einem in den Boden starrenden, dann plötzlich entflammten Pinkerton und ist in kaltes Licht getaucht, derweil Cio-Cio-San den «Himmel voller Sterne» besingt. Es ist ein Einspruch der Regie gegen die Bühnenromantik, der keineswegs zwingend ist. Hier führt die Musik gegen alle Regie direkt ins Gefühlszentrum.

Heftiger Premierenapplaus vor allem für die packende Hauptdarstellerin Svetlana Ignatovich.