Alexander Dick, Badische Zeitung (04.09.2009)
Darüber also lachte der Wiener Kaiserhof am Vorabend der französischen Revolution. Zwei Liebespaare von unterschiedlichstem Temperament, das eine nachdenklich-philosophisch, das andere heiter-hedonistisch, drohen mehrfach einander zu verlieren, weil der eine der beiden Partner jeweils die entgegengesetzte Wesensart annimmt. Der Grund: Durch das Betreten und Verlassen der Grotte eines Zauberers werden die Schwermütigen ausgelassen, die Lebensfrohen dagegen beginnen zu philosophieren. Am Schluss finden freilich die richtigen Temperamente zusammen, aber das war in Giambattista Castis bescheidenem Opernlibretto ohnedies so klar wie das Amen in der Kirche, der der Textdichter als vormals Geistlicher entsagte.
Insofern verwundert es schon, dass "La grotta di Trofonio" nach ihrer Uraufführung 1785 rasch so viele Premieren in ganz Europa erlebte, denn simpler lässt sich ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel wohl kaum stricken. Die Gemeinschaftsproduktion der Zürcher Oper mit der Oper in Las Palmas, die zum Saisonauftakt am Theater in Winterthur zu erleben ist, lässt es zumindest erahnen: Es muss schon damals vor allem an der Musik Antonio Salieris gelegen haben. Salieri? In Mozart-Freunden ballt sich da gleich was zusammen. War das nicht der intrigante Widersacher, der Mozart vergiften wollte, in Milos Formans "Amadeus"-Film so herrlich diabolisch verkörpert von dem wunderbaren F. Murray-Abraham? Das ist das – weitgehend widerlegte – Klischee. Der historische Salieri war wohl anders. Das unter seinem neuen Chef Douglas Boyd meist erfrischend und differenziert aufspielende Musikkollegium Winterthur macht spürbar, dass der Italiener in Wien nicht nur exzellenter Handwerker war, sondern vor allem Meister der Orchestration. Seine aparten Holzbläserkombinationen in den Arien, zum Beispiel Klarinetten und Fagott, oder Englischhörner und Fagott, seine fast ein wenig die Filmmusik antizipierenden Klangexperimente, mit denen er die unheimliche Sphäre des Zauberers Trofonio illustriert, lassen erahnen, dass der zu Mozarts Lebzeiten ungemein erfolgreiche Salieri alles andere war als ein unkreativer Vertreter eines musikalischen ancien régime.
Boyd, um einen lichten, transparenten Ton bemüht, findet dennoch nicht immer zur bei der Zürcher Oper gewohnten Präzision; am Premierenabend fehlt zuweilen der Zusammenhalt mit dem Vokalensemble. Das ist gleichwohl von erfreulicher Mozart-Qualität – ohne diese lässt sich, das haben auch Sängerinnen wie Diana Damrau oder Cecilia Bartoli nachhaltig gezeigt, der Zeitgenosse Salieri nämlich nicht adäquat singen. Mit lyrischer Leichtigkeit agieren die beiden Tenöre Kresimir Spicer (Artemidoro) und insbesondere Gabriel Bermúdez (Plistene), mit charmanter Neigung zum Überzeichnen die tiefen Stimmen László Polgár (Trofonio) und Davide Fersini (Aristone). Von allerfeinster Manier, auch im Wechseln der Charaktere, sind Serena Malfis Ofelia und – vor allem – Isabel Rey als Dori. Die Komödiantik, mit der sie "beschwipst" und kokett zu Beginn des zweiten Aktes ihre Arie "Faceto e vivace – spritzig und lebhaft" interpretiert, ist für die Annalen der Zürcher Operngeschichte bestimmt.
Überhaupt – es wird intensiv, gut und mit spürbarer Leichtigkeit gespielt in dieser Inszenierung des argentinischen Festivalchefs auf Gran Canaria, Mario Pontiggia. Nach tieferen Schichten oder gar Interpretationsebenen wird man vergeblich suchen. Pontiggias ganz gegenständliches, arkadisches Bühnenbild knüpft an die Ästhetik der 1930er Jahre an, die Kostüme Giovanna Buzzis lassen das späte 18. Jahrhundert prachtvoll aufleben. Merkwürdig oder verständlich? Nach gut drei Stunden doch reichlich banaler Heiterkeit denkt man an Mozart, an die Psychologie seiner Da-Ponte-Opern, hört im Geiste seine Arien und lächelt über dessen Briefzitat: "Immer was Gescheides macht Kopfweh". Armer Wiener Kaiserhof, armer Salieri.