Theater Winterthur: La Grotta di Trofonio

wb, Codex flores (03.09.2009)

La grotta di Trofonio, 02.09.2009, Winterthur

Das Opernhaus Zürich hat seine Saison 2009/10 traditionsgemäss mit einer Produktion im Theater Winterthur eingeleitet. Mit Antonio Salieris Oper «La Grotta di Trofonio» hat es eine höchst unterhaltsame, echte Trouvaille auf die Bühne gebracht. Zugleich hat Douglas Boyd, der neue musikalische Leiter des Musikkollegiums Winterthur, sich erstmals in der Schweiz als Operndirigent präsentiert.

Das Libretto zu «La Grotta di Trofonio» könnte problemlos als Drehbuch einer heutigen Sitcom durchgehen. Die Grundkonstellation ist ein echter Wurf: Ein Vater gleist die Hochzeit seiner zwei Töchter gegensätzlichen Temperamentes auf; die eine ist ernstgesittet, die andere vergnügungssüchtig. Beide wählen charakterlich zu ihnen passende Verlobte. Durch ein besonderes Ereignis kehrt sich zuerst das Temperament der beiden designierten Ehemänner ins Gegenteil, womit die intellektuell-strenge Braut plötzlich von ihrem vergnügungssüchtig gewordenen Bräutigam bedrängt wird und die vergnügungssüchtige sich mit ihrem plötzlich ernstgesittet einherschreitenden herumschlagen muss.

Die beiden Frauen beklagen sich bei ihrem Vater und wollen die Hochzeit abblasen. Dann führt das besondere Ereignis dazu, dass die Männer wieder normal werden, dafür die Frauen das Temperament austauschen, was zu Folge hat, dass sie vom heiraten schon wieder die Finger lassen wollen – nun allerdings aus dem gegenteiligen Grund, weshalb der Vater seine Töchter und den Rest der Welt nicht mehr versteht.

Eine solche Geschichte lebt nicht von einer Entwicklung hin auf ein überraschendes Ende, sondern von der klassischen Situationskomik rund um Wiederholungen gleicher Szenen unter anderen Voraussetzungen. Sie gibt den Exponenten die Gelegenheit, ihr Talent zur Darstellung unterschiedlicher Affekte unter Beweis zu stellen. Und weil sie nicht wirklich tiefschürfende innere oder äussere Konflikte zum Thema macht, verlangt sie nach einer leichtfüssig-burlesken Umsetzung, garniert mit vielen möglichst amüsanten Details. Die Anlage einer auf schnelle, überraschende, aber weitgehend harmlose Pointen angelegte Sitcom eben.

Der «Trofonio»-Librettist Giambattista Casti trifft genau diesen Ton. Er hat die Geschichte in ein Ambiente versetzt, das in der damaligen Epoche hoch in Mode war (und sich kaum in unsere Zeit transferieren lässt): die Philosophie und Kunst des alten Griechenlands. Der historische Rahmen bleibt blosses Kolorit, was wirklich zählt, sind lakonischer Wortwitz und Pointen in kurzer Kadenz. So fragt sich der Vater (Aristone) in schönsten Stabreimen, ob die vewandelten Männer wohl dauerhaft oder bloss vorübergehend verrückt geworden seien («Veder bisogna/S'è pazzia permanente o passeggiera») und die als Vergnügungssüchtige recht wortgewandte und schlagfertige Braut (Dori) bringt ausgerechnet als konvertierte Intellektuelle nur noch Einwortsätze zustande («Maturità, Saviezza, Sodezza, Gravità!»). Und so weiter und so fort.

Den Verwandlungsmechanismus zur Geschichte liefert ein überaus sarkastischer Philosoph oder Magier (Trofonio), der eine Grotte geschaffen hat, die alle charakterlich verwandelt, die sie durchschreiten. Weitere Aufgaben hat Trofonio für die Entwicklung der Geschichte nicht, und auch der Vater, eine nicht minder harmlose Figur, steuert zum Lauf der Dinge ausser charmant-hilfloser Kommentare kaum etwas bei.

Die Leichtigkeit und Situationskomik welche die Geschichte ausmachen, hat Salieri kongenial in Musik umgesetzt. Es handelt sich um eine erfindungsreiche Partitur, in der die Streicher eher die ernste Seite untermalen und die Bläser vorzugsweise die komischen Akzente setzen. Klug gesetzt sind karikierende oder überraschende klangliche Effekte, kleine witzige Details, welche für Schmunzeln sorgen und die Aufmerksamkeit wachhalten.

Das Prinzip hat in der Zürcher Produktion der sowohl als Bühnenbildner wie auch als Regisseur amtende Mario Pontiggia für die Bühne übernommen. Was in andern Opern-Inszenierungen als Regiemätzchen empfunden würde, passt hier perfekt in den heiter-ironischen Grundton des Ganzen, etwa die beiden Bräute, die nacheinander das fürs Publikum nicht sichtbare beste Stück eines griechischen Athletentorsos aus Stein beäugen, der vergnügungssüchtige Bräutigam (Plistene), der als ernst-vewandelter wie Hamlet mit einem Totenkopf herumstelzt, die ernste (Ofelia) und die lustige Braut, die gegensätzlich aufs Schnapsglas ansprechen und letztere, die schliesslich eine Arie sturzbetrunken zum Besten gibt und dabei hart (aber sehr gekonnt) an der Grenze zum billigen Klamauk vorbeischrammt.

Die Symmetrie der Charaktere findet sich auch im Dekor, einer halbrund angeordneten Säulenhalle, die immer wieder Gelegenheit zu spiegelbildlichen Tableaus schafft und die Transparenz und Klarheit des Spieles unterstreicht.

Die Liebespaare, Isabel Rey als Dori und Serena Malfi als Ofelia, sowie Krešimir Spicer als Artemidoro und Gabriel Bermúdez als Plistene bilden in der Zürcher Aufführung ein homogenes, sängerisches rundum überzeugendes Quartett, das auch auf darstellerisch hohem Niveau agiert, allerdings nicht alle komischen Potentiale der Temperamentswechsel gleich ausspielt. Als heiterer, nicht aus der Ruhe zu bringender Vater zeichnet auch Davide Fersini ein stimmiges Porträt, während László Polgár als Trofonio die sängerisch reifste und darstellerisch routinierteste Partie abgibt, ohne dass der Niveauunterschied allzu gross anmutet.

Eine erstklassige Leistung zeigen auch das Musikkollegium Winterthur und bei seinem Primat Douglas Boyd am Pult. Ob ihm als gelerntem Oboisten die von wichtigen Holzbläserpartien geprägte Instrumentierung der Musik dabei besonders liegt, ist eine Frage der Spekulation. Salieris Klangkosmos scheint ihm auf alle Fälle zu behagen, er entlockt dem Musikkollegium im Orchestergraben des Winterturer Theaters frei von Effekthascherei eine ebenso betörende wie kecke Klangrede.