«Einfach göttlich» - Rossinis Eigenlob ist nicht unberechtigt

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.09.2009)

Mosè in Egitto, 19.09.2009, Zürich

Das Opernhaus Zürich brillierte am Samstag mit der selten gespielten Rossini-Oper «Mosè in Egitto»: eine geglückte Premiere, szenisch interessant und aktuell, herausragend dirigiert, und von einem hochkarätigen Ensemble gesungen.

Wenn der Vorhang über der Inszenierung der französisch-belgischen Regie-Zwillinge Patrice Caurier und Moshe Leiser aufgeht, sind wir nicht im antiken Ägypten, sondern mitten in einem Börsencrash: Auf den Monitoren zeigen die Kursdiagramme, die Seismografen der Wirtschaftswelt, allesamt steil nach Süden. Die UBS notiert bei minus 43,5 Prozent, ist damit aber in guter respektive schlechter Gesellschaft. Aber es kommt noch schlimmer: Einer nach dem anderen geben die Monitore den Geist auf, der Strom fällt aus, das Licht erlöscht: Die ägyptischen Plagen des Alten Testaments sind in unserer heutigen Welt angekommen.

Verantwortlich für den Börsensturz ist nicht der liebe Gott, sondern ein religiöser Fanatiker namens Mose, der auch nicht davor zurückschreckt, Bomben hochgehen zu lassen: Da zieht Feuer über ein Ägypten, das irgendwo in der modernen Welt angesiedelt sein könnte und dessen Pharao dem Padrone eines Mafia-Clans ähnelt. Nur für den Tod der Erstgeborenen braucht die Inszenierung dann doch einen Deus ex machina: Plötzlich breiten sich Blutflecken auf den weissen Westen aus, während Mose gefangen in oranger Guantánamo-Kluft am Boden liegt.

Plädoyer gegen Fanatismus

Über 60 gemeinsame Produktionen in der ganzen Opernwelt haben Caurier und Leiser schon auf die Bühne gestellt. In Zürich brillierten sie letztes Jahr mit der Ausgrabung von Jacques Fromental Halévys komischer Oper «Clari». Dass sie auch ernste Fragen und eigenständige Aussagen mit den Mitteln des Theaters thematisieren können, zeigte in Zürich das Schlussbild von Gioachino Rossinis «Mosè in Egitto»: Das Rote Meer, das sich für die Hebräer teilt, ist eine Videowand, die sich auf die nachfolgenden Ägypter senkt und sie in den Boden drückt. Dann aber, zu den letzten Klängen Rossinis, die wieder den geretteten Hebräern am anderen Ufer und dem Dank an ihren Gott gehören, wendet sich die Wand und zeigt, was daraus geworden ist: eine blutige Collage aus Bildern vom Krieg in Palästina. Ein flammendes Plädoyer gegen religiös motivierten Fanatismus, eine Anklage an jeden, der das Wort Gott im Mund führt und damit Gewalt legitimiert.

Rossini schrieb «Mosè in Egitto» 1818 für Neapel. Während der Fastenzeit waren Opernaufführungen eigentlich verboten. Die Neapolitaner halfen sich damit, dass sie einfach biblische Themen als Opernsujets wählten und sie mit der obligaten Liebesgeschichte ausstaffierten. Daran störten sich bloss Reisende aus dem protestantischen Norden wie etwa ein gewisser Herr von Goethe. Rossini immerhin schrieb von einem «Oratorium», wenn von «Mosè in Egitto» die Rede war. Die angemessene Demut hingegen fehlte dann aber doch ein bisschen: Nicht nur, dass die Koloraturen des Liebespaars so heiss glühen wie immer bei Rossini. Auch sich selbst lobte der Maestro in den Himmel: «Einfach göttlich» sei seine Musik, fand er noch vor der Premiere.

Rundum überzeugende Aufführung

Ganz unrecht hatte er nicht damit. Vor allem in den Ensembles und Chören gelangen ihm einige wirklich geniale Nummern, die berühmteste, die «Preghiera», das Gebet von Mose, hat jeder Belcanto-Bass im Repertoire. In Zürich debütierte der uruguayische Bass-Bariton Erwin Schrott in dieser Rolle und zeigte eine sängerisch wie darstellerisch starke Charakterleistung. Michele Pertusi als Pharao war sein Gegenspieler und ihm auch vokal ein Gegengewicht. Eva Mei und Javier Camarena sangen das Liebespaar und hielten sich in den hochvirtuosen Koloratur-Arien hervorragend, ebenso wie die gesamte Besetzung, in der auch Sen Guo als Amaltea und Reinaldo Macias als Aaron überzeugten.

Wesentlich verantwortlich für den auch musikalisch schlüssigen Gesamteindruck waren Chor und Orchester des Opernhauses Zürich unter der sehr umsichtigen Leitung von Paolo Carignani, der viel Wert auf die Details der erstaunlich vielfältigen Orchesterfarben in dieser Partitur legte - ohne dabei den Schwung und die Leichtigkeit von Rossinis Musiksprache zu verleugnen.