Fundis unter sich

Tobias Gerosa, Basler Zeitung (21.09.2009)

Mosè in Egitto, 19.09.2009, Zürich

Mit Gioacchino Rossinis «Mosè in Egitto» startet das Opernhaus Zürich mit einem nicht einfach zu bewältigenden, selten zu hörenden Stück. Mit Erfolg.

Der Knackpunkt kommt ganz am Schluss. In ein paar wenigen Takten teilt Moses das Rote Meer und ermöglicht so den Israeliten den Auszug; fürs Versinken und Ersaufen der verfolgenden Ägypter hat Rossini gut drei Minuten Musik geschrieben – drei Minuten, an welchen Regisseure verzweifeln können, weil zeigen kann man das Geschehen ja eigentlich nicht.

Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier findet eine einfache und einleuchtende Lösung, weil sie ihren Stilbruch gut zweieinhalb Stunden vorbereiten. Es gibt nämlich – entgegen der Vorlage aus dem ersten Buch Mose – kein klares Gut und Böse. Moses und Aaron, die Anführer der gefangenen Israeliten sind fundamentalistische Terroristen mit Kampfstiefeln und Wallebärten. Ob islamische oder jüdische, lässt die Inszenierung offen. Und die Ägypter um ihren Pharao sind skrupellose Banker und benehmen sich wie überhebliche Kolonialisten.

Zu einfach? Im Interesse der Inszenierung steht die Aktualität der biblischen Konfrontation – und das ist, denkt man an die lange Reihe Zürcher Produktionen italienischer Opern der letzten Jahre zurück, mehr als sonst.

Bilderflut. Wahrscheinlich gibt es eine Küchenszene zwischen Pharao und Sohn sowie ein Edward-Hopper-Hotelzimmer zu viel, doch Caurier/Leiser stellen ihre eher aus einer Buffo-Ästhetik kommenden Bilder in den Dienst einer klaren Richtung. In der Preghiera Moses, dem bekanntesten Stück der Oper, begleiten die Israeliten ihren Chor mit jüdischen, muslimischen und christlichen Gebetsgesten: So konkret die Inszenierung die Geschichte aktuell ansiedelt, sie zielt tiefer: Die Video-Meeresfluten, welche die Ägypter unter sich begraben haben, erweisen sich als Flut realer Medienbilder der Gewalt. Welche Seite dafür verantwortlich ist, spielt gar keine Rolle.

Die Liebesgeschichte zwischen der Israelitin Elcìa und Pharaonensohn Osiride gewinnt auf dieser Folie Relevanz, auch szenisch, und nicht nur durch die sensible vokale Gestaltung von Eva Mei und Javier Camarena. Es ist der strafende Gott (durch sein Sprachrohr, den Fundi Mosè), der die Liebe und damit einen Ausweg aus der Polarisierung vereitelt.

Im Graben animiert Paolo Carignani die Holzbläser zu enorm farbenreichem Spiel und rückt die Partitur mit straffer Rhythmik und klarer dynamischer Abstufung ins beste Licht. Mehr Gewicht als in anderen Opern liegt auf dem Ensemble, das stilsicher miteinander singt.

Dafür bleibt die Personenführung eher allgemein. Sowohl der Pharao Michele Pertusis als auch Mosè, verkörpert von Erwin Schrott, bleiben ziemlich blass. Bloss nicht zu klar böse, scheint beider Devise zu sein. Während Schrott seine wunderbar sonore Stimme oft künstlich abdunkelt und eine Tendenz zum gravitätischen Schreiten zeigt (schliesslich ist Moses traditionell ein alter Mann), überzeugt Pertusi mit königlichem Understatement und als vokal beweglicher Darsteller.

Dieser Saisonauftakt ist gelungen, hoffentlich leitet er die dringend nötige Wende in der Umsetzung italienischer Opern am Opernhaus ein. Warum warten, bis 2012 ein neuer Intendant antritt?