Schluss mit der Maskerade

Peter Surber, St. Galler Tagblatt (21.09.2009)

Così fan tutte, 19.09.2009, St. Gallen

Theater St. Gallen Mit Mozarts Così fan tutte eröffnet die Opernsaison raffiniert. Die Liebeskomödie wird heutig.

Ein hübscheres Komödchen («piu bella commediola») könnte man sich nicht ausdenken, raunen sich Ferrando und Guglielmo zu. Eben haben sie ihren Frauen vorgespielt, sich vergiftet zu haben, liegen dahingestreckt auf dem Boden, Dorabella und Fiordiligi sind ausser sich vor Schreck. Da legt Mozart Ferrando eine kleine freche Koloratur in den Mund, doch Guglielmo stupst ihn: Wer grad am Sterben ist, singt gefälligst keine Arien mehr.

Die kleine Szene ist tatsächlich beste «Commediola» – der Wortwitz des Librettisten Lorenzo dal Ponte steckt mit drin, Mozarts unerschöpflicher Melodienreichtum, alle Spiellust des Ensembles und die pfiffige Handschrift von Regisseur Ansgar Weigner: Er scheut sich nicht, Mozart und dem Operngenre auch mal eins ironisch auf die Nase zu geben.

Ein toller Tag

Die «Così fan tutte», mit der am Samstag die Spielzeit begann, hebt Mozart nicht aufs Klassikerpodest, sondern begegnet ihm auf Augenhöhe. Spielort ist eine italienische Trattoria der Fünfzigerjahre, Bühnenbildnerin Susanne Harnisch hat daraus eine marthalerisch abblätternde Puppenstube gemacht, Marion Steiner steuert zeittypische Kostüme bei, Statisten und Chor schaffen Atmosphäre. Ein Hauch von Fellini.

Dazu passt der Schalk, mit dem die Regie sich aller möglichen Alltagsrequisiten bedient. Im Rhythmus der Musik gehen Ferrando und Guglielmo mit spitzen Schirmen auf Don Alfonso los, der behauptet hat, ihre Geliebten seien untreu. Fiordiligi singt ihre tugendhafte Arie («Quest'esempio di costanza») am Bügelbrett, Guglielmo jongliert vor Dorabella im Takt mit Orangen, die Frauen schlagen die Männer mit den Waffen der Frau: Fliegenklatsche, Waschlappen, Barshaker. Und Intelligenz, doch davon später.

Ein toller Tag – und ein schauspielerisches Parforce-Programm für das Gesangssextett. Doch ist das actionreiche Spiel nicht Selbstzweck, sondern hört die Partitur genau aus, zeichnet die Konturen der Musik nach, nimmt Akzente auf, folgt den Bläsergirlanden, setzt Paukenschläge. So quirlig und transparent das Sinfonieorchester unter Jeremy Carnall (am Ende gab es dafür Sonderapplaus) seinen Mozart aus dem Orchestergraben hochsprüht, so bewegt sprudelt es auf der Bühne, Wolferl hätte seine Freude daran.

Offener Partnertausch

Seinen Augen nicht trauen würde Mozart aber in der elften Szene. Ferrando und Guglielmo sind tränenreich angeblich in den Krieg gezogen, als verkleidete Muselmänner kommen sie jetzt zurück und wollen die Treue ihrer «donne» auf die Probe stellen. Doch die von Don Alfonso vorgeschlagene Maskerade wird Ferrando nach wenigen Minuten zu blöd, er wirft den Turban ab. Statt Geheimnistuerei und Partnertäuschung heisst das Spiel von nun an: offener Partnertausch.

Damit ist jene Unglaubwürdigkeit dahin, die sonst der «Così» anhaftet – dass zwei vernünftige Frauen ihren läppisch verkleideten Männern auf den Leim gehen bis hin zur getürkten Heirat übers Kreuz. Aber gerät ohne all dies nicht die ausgeklügelte Mechanik des Stücks durcheinander?

Das könnte Diskussionsstoff geben. Wir erleben eine gegenüber dem Original veränderte Geschichte, die jedoch passgenau mit der Musik Schritt hält. Mit dem Text allerdings nicht immer, und öfter sollen uns auf dem Display Inhaltsangaben statt die Originalübersetzung auf die Sprünge helfen. Zudem wird das Finale zum Unfug: die inszenierte Doppelhochzeit mit den vermeintlich türkischen Liebhabern Sempronio und Tizio.

Ausser man will gerade darin das Spiegelbild einer Entfremdung sehen: Einstmals Liebende spielen ratlos ihr Spiel zu Ende, um den Schein zu wahren. Doch den Schein haben die Frauen längst durchschaut. Und das ist, um den Preis einiger neuer Unglaubwürdigkeiten, der grosse Gewinn dieser Regiedeutung: Statt Marionetten an den Fäden alter Geschlechterklischees sind leibhaftige und herzhaft heutige Charaktere auf der Bühne. Junge Paare, die eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung um die Liebe führen. Nicht bloss eine «scuola degli amanti», wie die Oper im Untertitel heisst, sondern eine Lebensschule, Hauptfach: Vertrauen und Verrat.

Verschworenes Sextett

Für diese Lektion sind die Solisten ausgezeichnet präpariert. Sie haben ihren Figuren eine Biographie zugelegt, doch wichtiger noch bei Mozarts überbordender Fülle an Ensembleraffinesse: Sie sind ein Team. Katja Starke singt Dorabella, die reifere der Schwestern, mit ihrem runden, ausdrucksstarken Mezzo. Sie lässt sich auf das Partnerspiel schnell und illusionslos ein, anders als Fiordiligi. Netta Or, als Mozartsängerin in Salzburg und vielerorts gefeiert, singt glockenrein, etwas metallen zu Beginn in den Höhen, und nimmt mit Leichtigkeit die heftigen Sprünge, mit denen Mozart ihre Standhaftigkeit gegenüber Ferrando auf die Probe stellt.

Listig zwischen Naivität und Abgebrühtheit schillert der Guglielmo des kraftvollen amerikanischen Baritons Markus Beam, sehr schlank und besonders in den Pianissimi berührend ist der Tenor seines Landsmanns Arthur Espiritu – ein Kontrast zur Rolle des Bösewichts, die der Regisseur dem Ferrando zugedacht hat. Tijl Faveyts hält als Alfonso mit samtener Kraft und mit Ironie dagegen. Und wo ihm das Spiel entgleitet, hält er sich schadlos an Despina. Die junge Niederländerin Simone Riksman, neu im Ensemble, führt sich mit virtuoser Stimmführung und hoch differenziertem Spiel ein.

Ein Herz für Despina

Denn mehr als Dorabella oder Fiordiligi ist sie das Opfer, die Dienerin mit der Clownnase, die alle Rollen erfüllen muss und von allen ausgenutzt wird. Beim Personenraten – erneut ein schlauer Regieeinfall – singt sie auf dem Bartresen ihre berühmte Arie «Una donna di quindici anni». Die andern hören erst zu – und lassen sie dann sitzen. Davon erzählt diese reichhaltige Mozart-Produktion auch: von der «vita maledetta» jener, nach deren Lieben und Geliebtwerden nie einer fragt.

Trotz viel Konzept noch mehr Hörvergnügen – das ist das Fazit dieser St. Galler Produktion, für die mit Sicherheit gilt: «Così non fan tutti».