Vom Zauber des Exotischen

Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (19.10.2009)

Madama Butterfly, 17.10.2009, Zürich

Am Samstag war Premiere von Puccinis «Madama Butterfly» im Opernhaus. Ein modernes Bühnenbild betont das Zeit-lose der glücklosen Liebe. Musikalisch trug Carlo Rizzi ziemlich dick auf.

Kirschblüten sind der Inbegriff japanischer Sinnlichkeit: sie duften wunderbar, sind rosa und bringen den Frühling. Das ist auch in Giacomo Puccinis «Madama Butterfly» so, die am Samstag im Opernhaus Zürich Premiere hatte. Regisseur Grischa Asagaroff und seinem Bühnenbildner Rainhard von der Thannen ist es gelungen, derart zarte und stimmungsvolle Bilder in einem kühlen, von der modernen japanischen Architektur inspirierten Bühnenbild zu finden.

Von «leicht» bis «schwer»

Die Geschichte um das japanische Mädchen Cio-Cio-San, das von einem amerikanischen Leutnant der Marine namens Pinkerton für das schnelle Vergnügen geheiratet und von ihrer Familie erst noch verstossen wird, ist intim und tragisch zugleich. Butterfly bringt das gemeinsame Kind alleine zur Welt, und als Pinkerton nach drei Jahren mit seiner Ehefrau wiederkommt, erkennt sie erst den ganzen Betrug. Sie gibt Pinkerton und seiner Frau das Kind mit und bringt sich um.

Puccini hat aus diesem Stoff den Zauber des Exotischen und die Härte der westlichen Lebensrealität zu einer herrlichen Oper verschmolzen. Für die Sängerinnen und Sänger stellt sie höchste Ansprüche, eben weil hier ganz verschiedene Stimmungen zu bewältigen sind. So ist Butterfly anfangs ein unschuldiges, träumerisch verliebtes Mädchen, das zur vollen Hingabe an den Fremden bereit ist und dafür sogar ihre Religion aufgibt. Nach diesem «leichten» Anfang muss sie einen ausgesprochen lyrischen, ruhigen Teil bewältigen, alleingelassen mit ihrer Dienerin Suzuki und ihrem Kind, wartend auf den Mann, der seinen Ehevertrag längst wieder aufgelöst hat. Und schliesslich das Drama dieser jungen, zu echten und tiefen Gefühlen fähigen Frau, die keinen Ausweg mehr weiss.

Stark in der lyrischen Einsamkeit

In Zürich verkörpert die chinesische Sängerin Xiu Wei Sun Butterfly. Sie ist in dieser Rolle bereits international gefragt und gastiert damit nun erstmals am Opernhaus Zürich. Die Anfangsnervosität war ihr denn auch deutlich anzuspüren. Sie sang im spielerisch leichten Anfang etwas gepresst, ihre helle Stimme kippte bald in eine metallische Schärfe. Doch vor allem im Duett mit Neil Shicoff (Pinkerton) gewann sie eine entspanntere Wärme. Ihr ganzes Können entfaltete Xiu Wei Sun aber hauptsächlich im Drama, in der lyrischen «Vereinsamung» und in der verzweifelten Erkenntnis. Hier sang sie nicht nur mit packender Dramatik, sie spielte die Tragödie auch mit grossartiger «asiatischer» Gestik und innerer Grösse.

Auch die Figur des Pinkerton hat in Puccinis Oper zwei ganz unterschiedliche Gesichter. Zuerst ist er der draufgängerische Amerikaner, der sein Verlangen in der fremden Kultur stillen will. Und als er zurückkehrt, leidet er angesichts der Tragödie, die er angerichtet hat, sehr heftig, hält das aber nicht aus und geht. Neil Shicoff verleiht Pinkerton seine grosse und grandios geführte Stimme. Doch auch ihm liegt mehr der tragisch-pathetische Atem als das «Parlando» im ersten Teil. Wirkte er dort noch etwas blass, so sang er sich in der Verzweiflung mitten in die Herzen des Publikums.

Die Figuren können sich im schönen, aber kühlen Bühnenbild frei entfalten. Reinhard von der Thannen hat ein dreistöckiges, enges und auf alle Seiten offenes Haus mit Wendeltreppe gebaut, die Mauern im Hintergrund sind jedoch mächtig und erinnern an Gefängnismauern. Moderne Möbel, wie etwa der Liebescouch, stehen zuerst weiss, dann schwarz im Raum. Für exotische Stimmung sorgen anfangs grosse, tiefrote japanische Lampenschirme, dann eine kluge Lichtregie von Martin Gebhardt, die zarte Pastelltöne von Rosa bis Grün in den Raum zaubert, und schliesslich die roten Blütenblätter, die während der freudigen Erwartung des Zurückkehrenden von oben auf Butterfly herabschweben.

Grischa Asagaroff weiss zarte Stimmungen zu schaffen und seine Figuren eindrücklich zu führen. Judith Schmid ist als Suzuki schwarz und elegant japanisch gekleidet. Sie singt die Partie mit klarer, weicher und erdig timbrierter Stimme, bewegt sich japanisch tänzelnd und wirkt doch immer sehr ruhig. Zu den warmherzigen Figuren zählt auch Sharpless, der US-Konsul in Nagasaki, der die vernichtende Nachricht Butterfly überbringen muss. Cheyne Davidson singt ihn mit innerlichem Engagement und viel Gefühl.

Eine bedrängende Lautstärke

Weniger überzeugend war hingegen die Musik aus dem Orchestergraben. Der erste Akt offenbarte noch gut hörbare Koordinationsschwierigkeiten, die Klangbalance war noch nicht gefunden, das Blech kippte in metallige Schärfe. Überhaupt sorgte Carlo Rizzi für eine wuchtige, die Sänger gerne bedrängende Lautstärke, das Luzide in Puccinis Musik kam kaum zur Geltung. Und die für diese Oper so typischen intimen Szenen, die kammermusikalische Differenziertheit fordern, liessen den italienischen Schmelz vermissen. Das Opernhaus Zürich ist nun mal ein eher kleines Haus, darauf muss man sich einstellen. Das an sich begeisterte Publikum zollte Rizzi denn auch nur einen verhaltenen Applaus.