Wenn etwas zu lange währt

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (19.06.2006)

Vec Makropulos, 17.06.2006, Zürich

«Vec Makropulos» von Leos Janácek im Opernhaus

337 Jahre alt zu werden - das ist vielleicht doch nicht der dringendste der Wünsche. Jedenfalls nicht, wenn man Emilia Marty gesehen hat alias Elian MacGregor alias Elina Makropulos. Die über drei Jahrhunderte, welche die berühmte Sängerin unter der Einwirkung eines lebensverlängernden Elixiers - ihr Vater, Leibarzt des habsburgischen Kaisers Rudolf II. in Prag, hatte es im ausgehenden 16. Jahrhundert an seiner Tochter ausprobieren müssen - auf unserer schönen Erde verbracht hat, liessen sie stumpf und zynisch werden. Wenn sie ein junges Liebespaar sieht, fragt sie nur, ob sie sich schon gehabt hätten, aber eigentlich sei es ja egal, es bringe ohnehin nichts. Einen Tabubruch nach dem anderen begeht sie, ihre Umgebung gerät mehr und mehr aus der Fassung, doch schliesslich ist sie auch das leid. Sie stirbt, endlich, ihren wohlverdienten Tod.

Die eine und die anderen

«Vec Makropulos», die Komödie von Karol Capek, die Leos Janácek in den Jahren 1923 bis 1925 in Musik setzte, kann nur funktionieren, wenn die Besetzung der Hauptrolle stimmt. In der Neuinszenierung des Stücks, die das Opernhaus Zürich anlässlich der Eröffnung der Zürcher Festspiele herausgebracht hat, ist das in glücklichem Mass der Fall. Auch Gabriele Schnaut ist eine sehr bekannte und seit langem geschätzte Sängerin; wenn sie ihre Stimme erhebt, klingt ihre ganze Erfahrung im Umgang mit den hochdramatischen Partien von Wagner und Strauss an, werden Erinnerungen wach an die grossartigsten Liebestode und Opferszenen. Emilia Marty ist bei ihr eine egozentrisch verschnupfte und theatralisch aufbrausende Diva - und das kommt alles aus einem so genuinen Temperament heraus, dass das riesige Vibrato, das die Töne förmlich oszillieren lässt, schon fast nicht mehr stört.

Allerdings dominiert Gabriele Schnaut mit dem durchaus auf Kraftentfaltung bauenden Verständnis ihrer Partie das Geschehen derart, dass sich auch die Umstehenden in diese Richtung gedrängt fühlen - nicht nur zu ihrem Vorteil. Über weite Strecken wird in dieser Aufführung so sehr gebrüllt, dass der Konversationston, den Janácek in ganz eigener Weise musikalisch gefasst hat, verloren geht. Als Albert Gregor, ein mehr oder weniger entfernter Nachfahre der Emilia Marty, agiert Peter Straka mit anhaltendem Überdruck (und dazu kam an der Premiere eine Indisposition). Sein Konkurrent Jaroslav Prus kommt bei Alfred Muff zwar zu herrlich voluminösem Klang, aber auch zu einförmiger Gestaltung. Während Rolf Haunstein den an seinem Mandat klebenden Advokaten Kolenaty mit wenig Kontur versieht und auch der Janek von Bogusaw Bidziski unscheinbar bleibt. Lichtblicke bieten Martina Janková, welche die junge Krista mit anrührend einfachem Ton singt, und Boiko Zvetanov, der den überdrehten Hauk-Schendorf zu einer klassischen Narrenrolle macht - vor allem aber Volker Vogel, der die marginale Partie des juristischen Faktotums durch seine ganz stille und zugleich eindringliche szenische Präsenz aufwertet.

Womit auch hier, wie so oft im Opernhaus Zürich, eine Titelrolle durch ein bisweilen etwas schmächtiges Ensemble garniert ist. Und dem entspricht, was aus dem Orchestergraben kommt. Dort gibt der junge, aber schon sehr umworbene Schweizer Dirigent Philippe Jordan sein Début - und auch er setzt auf Lautstärke. In der gewiss ehrlichen Absicht, dem Stück die komödiantische Harmlosigkeit auszutreiben und zu unterstreichen, dass Janáceks Musik dem Stoff noch ganz andere Dimensionen abringt. Die Ouverture hebt vielversprechend an, stellt sie doch das Kantige und das Warme in Janáceks Tonsprache spannungsvoll nebeneinander. Doch in der Folge dröhnt es vornehmlich, und dies in einer Kraft, die dem kleinen Raum wenig entspricht. Das müsste nicht sein; Kanten ergeben sich ja nicht ausschliesslich aus Lautstärke, da tun auch Farbgebung und Artikulation ihre Dienste. Das Orchester der Oper Zürich hätte ausserdem gut und gern noch ein, zwei Proben brauchen können. Viel Zeit zur Perfektionierung bleibt nämlich nicht, es gibt in dieser Saison nur mehr fünf weitere Vorstellungen.

Die grosse Müdigkeit

Wenn der Vorhang aufgeht, blickt man auf eine hübsche Dampflokomotive, die geradewegs in den Zuschauerraum zu fahren droht (am Ende setzt sie sich denn auch in Bewegung). Die verstorbene italienische Künstlerin Titiana Maselli, die das von Barbara Bessi ausgeführte Bühnenbild entworfen hat, und die Kostümbildnerin Moidele Bickel verankern das Stück in seiner Entstehungszeit, was nicht ohne Reiz ist und zu optisch attraktiven Lösungen führt. Die szenische Ausgestaltung der einzelnen Figuren, für die der Regisseur Klaus Michael Grüber hätte sorgen sollen, bleibt aber wenig fassbar. Grüber ist ein Meister der Feinzeichnung, den nur schätzen kann, wer genau hinschaut. Hier gab es nun allerdings wenig zu entdecken; es war, als hätte die Müdigkeit, die sich der Emilia Marty alias Elian MacGregor alias Elina Makropulos bemächtigt hat, auf den Regisseur durchgeschlagen. So steht auch diese Produktion im Widerspruch zur Hochpreispolitik und zur forcierten Imagepflege des Hauses; sie ist über weite Strecken zweitklassig.