Börsencrash als erste biblische Plage

N. N., Neue Luzerner Zeitung (22.09.2009)

Mosè in Egitto, 19.09.2009, Zürich

Mit Gioacchino Rossinis «Mosè in Egitto» startet das Opernhaus Zürich mit einem selten zu hörenden Stück. Ein Erfolg zum Auftakt.

Der Knackpunkt kommt ganz am Schluss. In ein paar wenigen Takten teilt Moses das Rote Meer und ermöglicht so den Israeliten den Auszug; fürs Versinken und Ertrinken der verfolgenden Ägypter hat Gioacchino Rossini gut drei Minuten Musik geschrieben – drei Minuten, an welchen Regisseure verzweifeln können, weil man das Geschehen ja eigentlich nicht zeigen kann.

Das Regieduo Moshe Leister und Patrice Caurier findet eine einfache und einleuchtende Lösung, weil die beiden ihren Stilbruch gut zweieinhalb Stunden vorher vorbereiten.

Fundis gegen Kolonialisten

Es gibt hier nämlich kein klares Gut und Böse. Moses und Aaron, die Anführer der in Ägypten gefangenen Israeliten, sind fundamentalistische Terroristen mit Kampfstiefeln und Wallebärten. Ob islamische oder jüdische, lässt die Inszenierung offen. Und die Ägypter um ihren Pharao sind skrupellose Banker und benehmen sich wie überhebliche Kolonialisten überall. Die erste biblische Plage ist ein Börsencrash. Zu einfach? Im Interesse der Inszenierung steht die Aktualität der biblischen Konfrontation.

Das Regieduo stellt die bewusst theatralischen und eher aus einer Buffo-Ästhetik kommenden Bilder in den Dienst einer klaren Richtung. In der Preghiera Moses, dem bekanntesten Stück der Oper, begleiten die Israeliten ihren Chor mit jüdischen, muslimischen und christlichen Gebetsgesten: So konkret die Inszenierung die Geschichte aktuell ansiedelt, sie zielt tiefer: Die Video-Meeresfluten, welche die Ägypter unter sich begraben haben, erweisen sich als Flut realer Medienbilder der Gewalt. Welche Seite dafür verantwortlich ist, spielt gar keine Rolle.

Vereitelte Liebe

Die Liebesgeschichte zwischen der Israelitin Elcìa und Pharaonensohn Osiride, eingefügt aus Gattungskonvention, gewinnt auf dieser Folie durchaus Relevanz, auch szenisch und nicht nur durch die sensible vokale Gestaltung durch Eva Mei und Javier Camarena. Es ist der strafende Gott (durch sein Sprachrohr, den Fundi Mosè), der sie und damit auch einen möglichen Ausweg aus der Polarisierung vereitelt. Eigentlich erstaunlich, dass diese Inszenierung ohne jedes Missfallen aufgenommen wurde.

Stilsichere Duette

Die musikalische Seite und das Ensemble haben sicher mitgeholfen dabei. Im Graben animiert Paolo Carignani vor allem die Holzbläser zu enorm farbenreichem Spiel und rückt die Partitur mit straffer Rhythmik und klarer dynamischer Abstufung ins beste Licht. Mehr Gewicht als in andern Opern liegt auf dem Ensemble, weil Rossini erstaunlich wenige Arien schrieb und dafür auf Duette, Quartette oder grössere Szenen setzte, wo das eine aus dem andern entsteht. Mit welcher Stilsicherheit man hier miteinander singt, um die Geschichte zu gestalten, ist exemplarisch.

Ziemlich blasse Figuren

Dafür bleibt die Personenführung eher allgemein. Aus Ausgewogenheit sind sowohl der Pharao Michele Pertusis wie Mosè in der Verkörperung durch Erwin Schrott als Figuren ziemlich blass. Bloss nicht zu klar böse, scheint beider Devise zu sein. Während Schrott seine wunderbar sonore Stimme leider oft künstlich abdunkelt und eine Tendenz zum gravitätischen Schreiten zeigt (schliesslich ist Moses traditionell ein alter Mann), überzeugt Pertusi mit königlichem Understatement und vokal als beweglicher Darsteller. Insgesamt ist der Saisonauftakt gelungen.