Mordende Sympathieträgerin

Jürg Huber, Neue Zürcher Zeitung (20.10.2009)

Medea in Corinto, 17.10.2009, St. Gallen

Giovanni Simone Mayr s «Medea in Corinto» am Theater St. Gallen

Der 1763 geborene Komponist Giovanni Simone Mayr wurde zu Lebzeiten gefeiert, geriet aber nach seinem Tod bald in Vergessenheit. Nun feierte eine Neuedition seiner 1813 komponierten «Medea in Corinto» im Theater St. Gallen Premiere.

Die Musikgeschichte hat es nicht gut gemeint mit Giovanni Simone Mayr. Zu Lebzeiten gefeiert, geriet er nach seinem Tod bald in Vergessenheit. Wie viele seiner Berufskollegen hatte es den 1763 als Johann Simon Mayr in der Nähe von Ingolstadt geborenen Komponisten über die Alpen südwärts gezogen; in Bergamo fand er seine Wahlheimat. Unter seinen rund sechzig Opern ragt die 1813 komponierte Seria «Medea in Corinto» heraus, die aber allmählich durch die Medea-Vertonung von Luigi Cherubini verdrängt wurde. Nach einem hundertjährigen Dornröschenschlaf gab es anlässlich von Mayrs 200. Geburtstag zaghafte Wiederbelebungsversuche. Intensiviert wurden diese Bemühungen durch die 1995 gegründete Simon-Mayr-Gesellschaft. Nun hat der Musikverlag Ricordi eine Neuedition herausgebracht, die sich an der umjubelten Premiere im Theater St. Gallen bewährte.

Antike und Gegenwart

In einem suggestiven Bilderbogen von der Antike bis zu tristen Plattenbauten des 20. Jahrhunderts (Bühne Giles Cadle, Kostüme Jonathan Morrell) zeigt der Regisseur David Alden Korinth als einen dekadenten Ort des Ancien Régime, an dem es für die in Liebe und Leben zu eigenständige Medea keinen Platz gibt. Unweigerlich führt das anfänglich muntere, mit einigen Gags und symbolischen Elementen gewürzte Spiel zu einem bitteren Ende. Elzbieta Szmytka macht die Protagonistin trotz ihren Verbrechen zur Sympathieträgerin des Abends. Mit ihrem hellen Sopran, in dem sich Wärme und Schmerz vereinen, zeigt sie die Medea als liebende Frau und Mutter, die nur unter äusserstem Druck zur Mörderin wird. Einen gleichermassen intensiv agierenden Bühnenpartner findet sie im Egeo von Lawrence Brownlee. Undankbarer ist die Aufgabe für Mark Milhofer, der dem Ekel Giasone nach einem angestrengten Beginn doch verschiedene Facetten abzugewinnen weiss. Evelyn Pollock bezaubert als etwas naive Creusa, während Wojtek Gierlach den an den Rollstuhl gefesselten Creonte mit einiger Komödiantik gibt.

Klangliche Finesse

Unter der Leitung seines Chefdirigenten David Stern geht das St. Galler Sinfonieorchester die Partitur konzentriert und sehnig an, ohne dabei – zumal in den vielen schönen Soli – die klangliche Finesse zu vernachlässigen. Gefordert ist auch der vielfältig eingesetzte Chor, der stimmliche wie körperliche Beweglichkeit zeigt. – Im kommenden Frühsommer wird in München eine weitere Neuinszenierung folgen. Angesichts der reichhaltigen, zwischen Mozart und Rossini pendelnden Musik gewiss nicht die letzte.