Eine beinah vergessene Oper in die Moderne transferiert

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (26.10.2009)

Medea in Corinto, 17.10.2009, St. Gallen

Das Theater St. Gallen überzeugt mit einer sehr sehens- und vor allem hörenswerten Opern-Ausgrabung: 1813 schrieb Giovanni Simone Mayr seine Version des Medea-Stoffs «Medea in Corinto».

Er komponierte das «Te Deum», zu dessen Klängen sich Napoleon die Kaiserkrone im Dom zu Mailand auf das Haupt setzte, er war der bekannteste Opernkomponist seiner Zeit, bevor ihm Gioaccino Rossini den Rang ablief, er war Schüler von Ferdinando Bertoni und Lehrer von Gaetano Donizetti und die Entscheidung, Musiker zu werden, traf er im bündnerischen Poschiavo, im Palazzo Mengotti seines Mäzens Thomas von Bassus. Johann Simon Mayr, geboren 1763 in Bayern, wurde als Giovanni Simone Mayr in Venedig und Neapel ein Star des Opernlebens, Lieblingskomponist Napoleons und hochgeschätzter Lehrer. Die unbestritten wichtigste Oper aus seiner Feder ist «Medea in Corinto», entstanden für Neapel, nachgespielt in allen Hochburgen des damaligen Opernlebens - und heute vergessen.

Das Verdienst des Dirigenten

Dass diese wichtige Oper zwischen Barock und Belcanto nun im Theater St. Gallen zu sehen ist, ist das Verdienst des St. Galler Chefdirigenten David Stern, der sich vehement für die musikalischen Qualitäten des vergessenen Meisterwerks einsetzte. Interessante Orchestrierungen finden sich auf Schritt und Tritt in dieser Partitur, Mayr bietet auch immer wieder Soloinstrumente als Duettpartner der Sänger auf, komponierte insgesamt eine abwechslungsreiche Folge von verschieden ausgestalteten Arien, Chören, Ensembles und orchesterbegleiteten Rezitativen. Die Wiener Klassik Wolfgang Amadeus Mozarts, Christoph Glucks Reformen und die französische Revolutionsoper kannte der versierte Musiktheoretiker und mischte daraus seinen farbigen Operncocktail, der sich nur selten in den manchmal monotonen Koloraturenjagden Rossinis auslebt. Manchmal, vor allem gegen Schluss der Oper, entwickelt Mayrs Musik allerdings auch in Momenten höchster Dramatik musikalische Selbstläufer, welche die Handlung aufhalten und mitunter sogar für unfreiwillige Komik sorgen, etwa wenn in wunderschönen Kantilenen à la Vincenzo Bellini von Rache, Tod und Wahnsinn oder in gepflegten Koloraturen minutenlang von höchster Eile die Rede ist.

Durch die Zeiten gezappt

Eine Regie, die auf konzise Ausarbeitung der dramatischen Momente setzt, könnte solchen, aus heutiger Sicht ungeschickten Bremsmanövern entgegenwirken. David Alden jedoch, der unter anderem an der Bayerischen Staatsoper München durch bildkräftige Inszenierungen bekannt geworden ist, entwickelte wenig Interesse an solchen Fragen. Zusammen mit dem Bühnenbildner Giles Cadle und dem Kostümschneider Jonathan Morrell zappte er lieber wild zitierend durch die Zeiten, jonglierte mit Elementen aus dem antiken Griechenland, aus der Entstehungszeit der Oper, Napoleons Empire oder aus heutigen Hollywood-Mythen wie die Ninja-Krieger-Verhüllungen von Kreons Widersacher Egeo. Dieser Bilderbogen war an der Vorstellung vom vergangenen Samstag oft unterhaltsam und witzig. Die Karikierung der dekadenten korinthischen Hofgesellschaft etwa gelang Alden vortrefflich. Verschiedentlich produzierte er aber auch szenische Leerläufe und bühnentechnische Mätzchen die nicht nur von seiner hervorragenden Personenführung ablenkten, sondern auch der Musik im Wege standen.

Denn dieser St. Galler Besetzung zuzuhören, lohnte sich. Einer sängerisch wie darstellerisch grandiosen Elzbieta Szmytka in der Titelrolle stand eine nicht minder souveräne Creusa von Evelyn Pollock gegenüber. Und auch die Tenöre Lawrence Brownlee als Egeo und Mark Milhofer als Giasone bewegten sich in dieser virtuosen, verzierungsreichen und emotional abwechslungsreichen Musik wie Fische im Wasser. Stern war der Partitur ein glühender Anwalt: Auf Schritt und Tritt suchte und fand er die Finessen von Mayrs Orchesterklängen, holte den Klangreichtum der historischen Spielweisen ins Orchester inklusive der Tempi, mit denen die Orchestermusiker allerdings teilweise noch deutlich überfordert waren, was zu einem rhythmisch insgesamt nicht sehr präzisen, aber klangfarblich und gestalterisch intensiven Orchesterklang führte.