Musikalischer Süsswarenladen

Hanspeter Renggli, Mittelland-Zeitung (29.10.2009)

Hänsel und Gretel, 24.10.2009, Bern

Am Stadttheater Bern überzeugt das Ensemble in Humperdincks «Hänsel und Gretel»

Der Sängerregisseur Dale Duesing stellt im Stadttheater Bern mit Engelbert Humperdincks Märchenoper «Hänsel und Gretel» die Familie in den Mittelpunkt. Für den Erfolg des Abends bürgt aber ein bemerkenswertes Ensemble.

Der amerikanische Bass-Bariton Dale Duesing sang an sämtlichen bedeutenden Opernhäusern dieser Welt, und seine Interpretationen gelten als massgeblich. Seit fünf Jahren steht er auch mit einigem Erfolg hinter dem Regiepult. Darum war die Spannung gross, welchen szenischen Zugang er ausgerechnet in einem der populärsten Stücke der Opernliteratur finden würde. Denn kaum eine Oper steht derart im Banne des Klischees vom Weihnachtsmärchen wie Humperdincks «Hänsel und Gretel». Die eigenwillige Mischung aus volksliedhaft- naivem Grundton und musikdramatischem Anspruch mit religiösen Zügen ist meist nicht gefeit vor Kitsch oder aber vor irgendwelchen psychosozialen Botschaften. Davon war in der Berner Neuinszenierung des Märchens nichts zu sehen.

Aus familiärer Geborgenheit

Gemeinsam mit Boris Kudlika (Bühne) und Kaspar Glarner (Kostüme) führte Duesing in ein durchaus reales Hauswesen der beiden Kinder und ihrer Eltern, aus dem familiäre Geborgenheit, aber auch grosse Not entgegentritt. Ein zweifellos gangbarer, leicht aktualisierender Ansatz, der in den Wald- und Hexenszenen mit einem Minimum an Zauber angereichert wird. Und um den Gegensatz von Mangel und Überfluss zu verdeutlichen, betreiben die verzauberten Kinder unter der Leitung der (männlichen) Hexe ein veritables und sichtlich erfolgreiches Konditoreiunternehmen. Das überall im Hause sichtbare Sponsoring eines namhaften Berner Konditorei- und Backwarengeschäfts hat dabei in Sachen Eigenwerbung ganze Arbeit geleistet. Daneben blieb die Inszenierung letztlich in einer recht konventionellen Haut stecken. Hier wird ein bisschen gehüpft und gesprungen, dort in bekannten Figuren getanzt und immer wieder an der Rampe gesungen.

Bemerkenswertes Ensemble

Es ist indessen das Ensemble, das die Produktion trägt. Da sind zunächst Claude Eichenberger (Hänsel) und Hélène le Corre (Gretel) zu nennen, deren Stimmen sich farbenreich und agil zwischen der Schlichtheit des Kinderlieds und den Spannungen des Musikdramas bewegen. Fabrice Dalis als Knusperhexe bringt mit seinem vibratostarken Bariton im bürgerlichen Küchenoutfit sowohl skurrile wie bedrohliche Momente ins Geschehen. Kristian Paul (Vater) und Fabienne Jost (Mutter) gewinnen ihren leicht klischeehaft angelegten Partien eigenständige Charaktere ab. Die bemerkenswerte Ensembleleistung wird durch die reizvollen und sängerisch brillanten Leistungen von Anne-Florence Marbot (Sandmännchen) und Ninoslava Jaksic (Taumännchen), schliesslich durch den Kinderchor der Musikschule Köniz abgerundet. Roland Böer (musikalische Leitung) kam mit den akustischen Tücken des Hauses bei grossem Orchestergraben nur bedingt zurecht und liess dem phasenweise wagnerischen Orchesterklang viel Freilauf. Kurz, das Berner Symphonieorchester, das vor allem in den reizvollen solistischen Einspritzern brillant und empfindsam musizierte, klang in den Tuttipassagen zu laut, mitunter gar lärmig. Das aufgeräumte Publikum zollte denn auch vor allem dem Sängerensemble Anerkennung.